Ältere Menschen sind oft auf Hilfe angewiesen, doch Pflegekräfte nicht im Übermaß vorhanden. Foto: Archiv (dpa/Christophe Gateau)

Im Landkreis Ludwigsburg werden bis 2035 voraussichtlich mehr als 1300 stationäre Plätze fehlen. Der Landkreis will das Problem lösen, ohne mehr Häuser zu bauen. Wie kann das gehen?

Schon jetzt ist das System auf Kante genäht, kann das Angebot kaum die Nachfrage befriedigen. Und es wird noch schlimmer. Bis 2030 fehlen nach den Berechnungen des Landratsamts im Kreis Ludwigsburg rund 1000 Dauerpflegeplätze, nur fünf Jahre später wird die Lücke auf mehr als 1300 Plätze angewachsen sein. In der Vergangenheit wäre dann wohl die Marschroute ausgegeben worden: Gut, dann bauen wir halt eine Armada neuer Pflegeheime. Doch damit würde man nur Bauruinen schaffen, brachte es Thomas Reusch-Frey (SPD) nun im Sozialausschuss des Kreistags auf den Punkt. Schließlich gibt es auch zu wenig Personal, um die Einrichtungen mit Leben zu füllen. Deshalb wird es der Landkreis nun mit einer neuen Strategie probieren – und ergänzend zu stationären Angeboten stark auf die häusliche Pflege setzen.

 

Entlastung von Angehörigen

Ziel ist, an mehreren Stellschrauben zu drehen, damit ältere Menschen ihren Lebensabend möglichst lange in den eigenen vier Wänden verbringen können. Gelingen soll das unter anderem dadurch, dass die Angehörigen entlastet werden. Aus dem Grund möchte man weitere Kurzzeitpflegeplätze schaffen. Dann könnten sich diejenigen, die sich um Mutter oder Vater kümmern, eine Auszeit nehmen, erklärte Silke Reich, Leiterin des Geschäftsteils Seniorenarbeit und Pflege in der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses. Benötigt würden die Betten aber auch, wenn jemand akut nach einem Klinikaufenthalt vor der Rückkehr in die eigene Wohnung erst wieder auf die Beine kommen müsse. Entsprechende Plätze zur Akutversorgung könnten beispielsweise auf dem Gesundheitscampus in Marbach realisiert werden, sagte Reich.

Eine elementare Rolle nimmt in der Strategie auch die Quartiersarbeit ein. Pro Jahr will der Landkreis 150 000 Euro ausschütten, damit die Kommunen Ansprechpartner für Senioren einstellen können. Die Quartiersmanager sollen ein offenes Ohr für die Bedürfnisse der älteren Herrschaften haben und Projekte anstoßen. In den Vierteln, in denen sie wirken, könnten Sozialraumanalysen gemacht werden, „eine lokale Verantwortungsgemeinschaft für das Thema Pflege“ geschaffen sowie Bürger aktiviert und an „Entwicklungsprozessen“ beteiligt werden, erläutert Franziska Schuster, Pressesprecherin des Landratsamts.

Ein Quartiersmanager ermittele ferner „Netzwerkpartner und schafft kleinteilige, vernetzte Versorgungsangebote, stärkt Angehörige in Pflege und Sorgeverantwortung und steuert gegebenenfalls Maßnahmen“. „Ziel ist es, ab 2024 jährlich sukzessive fünf bis sechs Quartiermanagerinnen und -manager in den Kommunen ihre Arbeit aufnehmen zu lassen“, erklärte Silke Reich in der Sitzung, in der der Kreispflegeplan einstimmig verabschiedet wurde. In diesen Kontext passt, dass auch der Gedanke der nachbarschaftlichen Hilfe, des Aufeinander-Achtgebens, gefördert werden soll.

Mit großer Kampagne Fachkräfte gewinnen

Einen Lösungsansatz hat der Landkreis überdies dafür, wie in Sachen Fachkräftemangel gegengesteuert werden könnte. „Das ist ein anhaltendes und ernsthaftes Problem mit weitreichenden Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung und die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte“, hob Silke Reich hervor. Es werde also angestrebt, mehr Pflegende zu gewinnen und diese dann auch bei der Stange zu halten. Helfen soll dabei vor allem eine große Kampagne. Einige Bausteine davon sind bereits an den Start gebracht worden, andere in Vorbereitung.

Zum einen wolle man weiter mit einem Stand bei der Berufsausbildungsmesse in Ludwigsburg Flagge zeigen und für den Job als Pfleger werben, sagte Reich. Zum anderen sollen Broschüren an Schulen versendet werden, damit Abgänger wissen, wo sie sich bewerben können. Das Image der Pflege möchte man unter anderem dadurch aufpolieren, dass ein Social-Media-Account ins Leben gerufen wird, an dem Azubis mitwirken. „Außerdem soll ein Ausbildungspreis vergeben werden für gute Abschlüsse in der Pflegeausbildung“, kündigte Reich an.

Bei der ersten kommunalen Pflegekonferenz Anfang November haben die Träger ambulanter Dienste und Heime unter anderem angemahnt, dass bei der Gewinnung von Pflegekräften auch bezahlbarer Wohnraum ein entscheidender Faktor ist. „Es steht dabei der Wunsch im Raum, dass der Landkreis mit den Städten und Gemeinden ins Gespräch geht, um Lösungen zu erarbeiten, wie zum Beispiel Pflegepersonal bei der Vergabe von Wohnraum bevorrechtigt zum Zuge kommen kann“, erklärt die Landratssprecherin Franziska Schuster.

Hoffnung auf neue Plätze

Um die Situation zu bewältigen, müssten überdies die Bundes- und Landespolitik, die Kassen und andere für das Pflegesystem relevanten Kräfte ihren Teil beitragen. Und man gehe davon aus, dass es auch in Zukunft stationäre Plätze geben wird „und hoffentlich auch neue geschaffen werden“. Allerdings: „Unter den aktuellen, vor allem personellen Rahmenbedingungen, ist das sehr herausfordernd“, erklärt Schuster.

Der Kreispflegeplan: zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Stationäre Plätze
 Momentan gibt es 4345 stationäre Pflegeplätze im Landkreis, weitere 161 sind geplant. Schon 2025 werden aber 5426 Betten benötigt, 2030 sind es 5548, fünf Jahre später sogar 5836.

Lücke
Besonders groß ist die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage in Freiberg am Neckar mit einer prognostizierten Unterdeckung bis 2035 von 136 Plätzen, gefolgt von Remseck (125) und Ditzingen (111).

Plus Großbottwar ist die Kommune, für die der Kreispflegeplan bis 2035 den größten Spielraum mit einem Plus von 93 Betten vorhersagt. Luft hat auch Erdmannhausen mit einem Plus von 55 Plätzen.