In unserer alternden Gesellschaft wird die Pflege eine wachsende Herausforderung. Foto: dpa

Die Diakonie Württemberg fordert eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung. Deren Leistungen müssten an die Kostenentwicklung angepasst, die Pflegebedürftigen entlastet werden.

Stuttgart - Seit einiger Zeit gehört die Pflege wieder zu den großen Debattenthemen der Politik, insbesondere seit in Berlin die Koalitionsregierung steht. „Gott sei Dank wird wieder intensiv über die Pflege diskutiert“, sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann. Schon heute seien in Baden-Württemberg etwa 300 000 Menschen pflegebedürftig, in eineinhalb Jahrzehnten werden es nach Berechnungen schon 400 000 sein, sagt der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg. Angesichts dieser Herausforderungen und des bereits bestehenden Fachkräftemangels, der wachsenden Arbeitsverdichtung in den Einrichtungen und einer steigenden Kostenbelastung der Betroffenen hält Dieter Kaufmann eine grundlegende Reform der vor 24 Jahren eingeführten Pflegeversicherung für dringend geboten. Die „Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Pflege“ dürfe nicht weitergehen, mahnt der Kirchenmann. Dieser Prozess sei „schädlich und unmenschlich“.

Eva-Maria Armbruster, die den Bereich Sozialpolitik im Diakonischen Werk Württemberg verantwortet, ist überzeugt, dass die Finanzierung der Pflegeversicherung „grundlegend geändert werden muss“. So bekomme man heute in einem Pflegeheim „gegenüber Mitte der 1990er Jahre für das gleiche Geld nur noch 70 Prozent der Sachleistungen“. In all den Jahren seien zwar Kosten und Preise in der Pflege gestiegen, „die Leistungen der Pflegeversicherung blieben aber lange Zeit gleich und wurden nur wenig dynamisiert“, so Armbruster. Eine der Folgen sei, dass die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der Sozialhilfeträger gestiegen sei. Deren Anteil an den Kosten müsse auch weiterhin „zumutbar sein“, fordert die Leiterin des Vorstandsbereichs Sozialpolitik.

Die Solidargemeinschaft ist gefragt

Zu „bizarren Ungerechtigkeiten“ komme es im jetzigen System durch die Trennung der Behandlungspflege, die von den Krankenkassen getragen wird, und der Grundpflege, für welche die Pflegeversicherung zuständig ist. Tatsächlich aber werde in stationären Einrichtungen die medizinische Behandlungspflege systemfremd aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert oder aus dem Eigenanteil der Bewohner.

Eva-Maria Armbruster plädiert deshalb dafür, dass künftig alle Verbesserungen in der Pflege aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werden und nicht zulasten der Pflegebedürftigen gehen. Nur wenn die Kosten einer guten Pflege von Politik und Gesellschaft anerkannt würden und diese „solidarisch getragen werden“, könne man aus dem Kreislauf einer zunehmenden Unterfinanzierung der Dienste und Einrichtungen ausbrechen. Nur so werde es möglich sein, ausreichend qualifiziertes und motiviertes Personal zu gewinnen, weil man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leistungsgerecht bezahlen und gute Arbeitsbedingungen schaffen könne, so Armbruster. Für Oberkirchenrat Dieter Kaufmann steht fest: „Wir werden für eine gute pflegerische Versorgung mehr Geld ausgeben müssen.“

Zermürbende Bürokratie

Claudia Degler, stellvertretende Geschäftsführerin und Heimleiterin des Evangelischen Vereins Bad Cannstatt, sagt, man brauche gute und auskömmlich finanzierte Personalschlüssel. „Die Arbeitsbedingungen müssen so sein, dass die Mitarbeiter sich noch als Menschen fühlen und nicht wie Maschinen über die Flure laufen.“ Martina Zoll, Geschäftsführerin der Diakoniestation Weissacher Tal, klagt, man leide schon jetzt unter einer erheblichen Personalknappheit. „Wir müssen immer wieder Pflegeanfragen ablehnen. Das ist sehr bitter und nur schwer auszuhalten.“ Ihre Sorge ist, dass sich die Lage schon bald noch verschärfen wird, weil „viele Mitarbeiterinnen bald in Ruhestand gehen“. Martina Zoll klagt auch über zu viel Bürokratie in der Pflege. Die weitreichende Dokumentationspflicht „zermürbt unsere Mitarbeiter“. Wenn es nach der Geschäftsführerin der Diakoniestation Weissacher Tal geht, muss künftig bei der Finanzierung der Pflege, welche auf die Unterstützung durch Ehrenamtliche angewiesen ist, auch der Aufwand zur Koordinierung dieser Netzwerke berücksichtigt werden.