Berührungen zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen sind derzeit noch nicht vorgesehen. Foto: dpa/Jens Kalaene

In einer nicht repräsentativen Umfrage des Biva-Pflegeschutzbundes berichten Angehörige von weinenden und verstörten Pflegeheimbewohnern. Außerdem stellen sie eine Verschlechterung des psychischen und körperlichen Zustands ihrer pflegebedürftigen Eltern, Ehepartner oder Geschwister fest.

Stuttgart - „Was hab ich denn gemacht?“, fragt der alte Mann. Er weint. Er ist dement. Er versteht nicht, warum er seine Frau nicht mehr umarmen darf, jetzt, da sie ihn nach vielen Wochen endlich wieder im Pflegeheim besuchen kann. Auch eine 92-jährige Frau in einer anderen Einrichtung ist überfordert. Sie ist blind und hört kaum etwas. Ihr Sohn und ihre Tochter sind zwar endlich wieder für eine halbe Stunde zu Besuch gekommen. Aber sie sitzen zwei Meter entfernt hinter eine Plexiglasscheibe. Ein Gespräch ist kaum möglich. Das steife Treffen strengt die alte Frau sehr an.

Es sind Szenen wie diese, die Angehörige schildern, die nach vielen Woche, in denen Kontakt kaum möglich war, nun wieder ihre alten Eltern, Ehepartner, Geschwister besuchen können. Gesammelt hat die Schilderungen der Biva Pflegeschutzbund, der die Interessen von Pflegeheimbewohnern vertritt. In einer bundesweiten Umfrage hatte der Bund seine Mitglieder gebeten, ihre Erfahrungen zu schildern. Knapp 1200 Menschen haben bundesweit mitgemacht. Für unsere Zeitung hat der Pflegeschutzbund die 107 Antworten aus Baden-Württemberg ausgewertet. „Die Umfrage ist nicht repräsentativ“, betont Biva-Sprecher David Kröll, aber das, was die Befragten schildern, wirft doch ein Schlaglicht auf die Situation in den Heimen im Land.

Fast die Hälfte registriert einen Gewichtsverlust

Es ist vor allem eine große Sorge um das Wohlergehen der Pflegeheimbewohner, die sich in den Antworten spiegelt. Ein Großteil der Umfrageteilnehmer war vor der Coronakrise mehrmals die Woche im Heim, um bei der Pflege und Betreuung der Angehörigen zu helfen. Als Folge des Lockdowns stellen nun fast drei Viertel der Befragten eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten ihrer Angehörigen fest. Ebensoviele finden, dass sich der Allgemeinzustand verschlechtert hat. Weniger Lebensfreude stellen sogar rund 85 Prozent der Umfrageteilnehmer bei ihren alten Verwandten fest. Und fast die Hälfte spricht von Gewichtsverlusten.

Kaum verwunderlich, dass den meisten die nun geltenden Besuchsmöglichkeiten nicht reichen. Der Großteil schildert, dass ein Besuch ein Mal pro Woche, oft unter Aufsicht und nur für etwa 30 Minuten außerhalb des Zimmers möglich ist und dabei strikte Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden müssen – ein Korsett, das vor allem für Demenzkranke schwer verständlich ist. Gut 90 Prozent der Befragten wünschen sich gerade für demente und bettlägerige Menschen individuelle Besuchsmöglichkeiten, etwa mit Schutzkleidung in deren Zimmern.

Pflegeschutzbund fordert, die Regelprüfungen wiederaufzunehmen

Manfred Stegger, Vorsitzender des Biva Pflegeschutzbundes fordert auf Grundlage der Umfrage nun, dass häufigere und regelmäßige Besuche von Angehörigen möglich werden. Außerdem sei es notwendig, „dass die zurzeit ausgesetzten Regelprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und die Heimaufsichten wieder aufgenommen werden. Diese sind derzeit im Land bis Ende September ausgesetzt.

Im baden-württembergischen Sozialministerium hat man Verständnis für die Wünsche der Angehörigen. „Wir appellieren an die Einrichtungen, so viel Besuch wie vertretbar nach den vorgegebenen Hygienevorschriften zuzulassen“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage unserer Zeitung, und dabei auch das psychische Wohl der Bewohner zu berücksichtigen. Allerdings appelliere man auch an die Angehörigen, Verständnis für die Situation der Einrichtungen zu haben und zu akzeptieren, dass „gerade in der ersten Phase der Öffnung voraussichtlich nicht jedem Besuchswunsch zum Wunschtermin entsprochen werden kann“. Oberstes Ziel sei nach wie vor der Schutz der alten Menschen vor dem Coronavirus. „Die Erfahrungen haben gezeigt, dass gerade in Pflegeeinrichtungen das Ausbruchsgeschehen sehr massiv war und zahlreichen Bewohnerinnen und Bewohnern das Leben gekostet hat.“

Vor diesem Hintergrund arbeite auch die sogenannte „Task Force Langzeitpflege“, an der unter Leitung des Sozialministeriums Vertreter der Kommunalen Landesverbände, der Einrichtungsträger, der Pflegekassen, des Landesseniorenrats und der Wissenschaft teilnehmen. Die Task Force evaluiert die für Pflegeeinrichtungen geltenden Schutzmaßnahmen laufend und arbeite auch an Konzepten zur Normalisierung des täglichen Lebens für Menschen mit Pflegebedarf.

Zur Forderung, die Regelprüfungen des Medizinischen Dienstes und der Heimaufsichtsbehörden wieder aufzunehmen, sagte die Ministeriumssprecherin: „Sofern die epidemiologische Lage die Aussetzung der Regelprüfungen bis Ende September nicht mehr rechtfertigt, wird eine vorzeitige Wiederaufnahme der Regelprüfungen in Betracht gezogen.“