Die Geschäftsführerin des Pflegedienstes „Ikra“ Betül Celik Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der demografische Wandel erfordert immer mehr Altenpfleger, auch speziell für muslimische Pflegebedürftige. Denn viele deutschsprachige Fachkräfte scheitern bei Muslimen häufig an der Sprache. Ein neuer Dienst will dieses Problem lösen.

Stuttgart - Auf dem Tisch des neuen Büroraumes in der Vaihinger Straße stehen Sektflaschen, das türkische Blätterteiggebäck Baklava und Hackbällchen in denen kleine Fähnchen stecken: Die deutsche Flagge, die italienisch, die griechische und noch ein Dutzend weitere.

Die Internationalität hat sich der interkulturelle Pflegedienst „Ikra“ auf die Fahne geschrieben. Das machte die Geschäftsführerin bei der Eröffnung des Büros in Möhringen am Freitagmittag deutlich: „Bisher sprechen unsere Mitarbeiter türkisch, kurdisch und arabisch“, sagt die Chefin Betül Celik. Künftig solle das Angebot auch auf Italienisch, Griechisch und andere Sprachen ausgeweitet werden.

Der neue ambulante Pflegedienst „Ikra“ ist in der Pflegebranche in Stuttgart einmalig. Er versteht sich als mobiler Anbieter von sogenannter kultursensibler Pflege, sagt die Geschäftsführerin Celik. „Das bedeutet, dass sich unsere Pflegerinnen und Pfleger der Kultur anpassen: Der Handkuss bei der Begrüßung an der Wohnungstür, schwarzen Tee kochen bis hin zu religiösen Waschungen“, sagt die Pflegedienst-Chefin.

Großer Mangel an muslimische Fachkräfte

Der Dienst startet mit sechs Mitarbeitern, bereits seit Anfang April haben sich 20 Klienten gefunden, die ab sofort betreut werden. Das Angebot ist ein Beispiel für die muslimischen Bemühungen, sich an sozialen Aufgaben stärker zu beteilen. So sieht es Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg. „Zwar gab es bereits ein vergleichbares Projekt in Bad Cannstatt, doch musste der Pflegedienst dort aus wirtschaftlichen Gründen schließen“, sagt Sofuoglu. Trotz des Engagements der Gemeinde in mehreren Projekte fehle es noch an muslimischen Fachkräften in der Altenpflege. „In Kooperation mit der Agentur für Arbeit haben wir vor drei Jahren insgesamt 132 Menschen in Ausbildung gebracht“, sagt der Vorsitzende.

Das Sozialamt der Stadt Stuttgart sieht allerdings bei muslimischen Altenpflegern und auch Seelsorgern noch viel Luft nach oben. „Viele Muslime sind über das bestehende Angebot nur unzureichend informiert. Beim Zugang zu den Einrichtungen bestehen sowohl kulturelle als auch sprachliche Hürden“, sagt Ina Friedmann aus der Abteilung Sozialplanung des Sozialamts. Es müssten daher nicht nur mehr Pflegefachkräfte im Allgemeinen ausgebildet werden, sondern insbesondere auch solche mit muslimischen Hintergrund.

Besondere Herausforderung ist die Demenz

Der Anteil älterer Migranten liegt in Stuttgart an der Spitze deutscher Großstädte. Rund 30 Prozent der über 60-Jährigen haben einen Migrationshintergrund, das sind doppelt so viele wie Mitte der 1990er Jahre. Im Jahr 2020 werden mehr als 300  000 Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg älter als 65 Jahre sein.

Ayse Günadyin, Mitarbeiterin im Türkischen Generalkonsulat, wirft die Frage auf, wie die Gesellschaft in Zukunft mit der steigenden Zahl Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund umgehen kann. „Ein Großteil der Menschen, die vor 50 Jahren nach Deutschland gekommen sind als Gastarbeiter, sind nun älter als 70 Jahre“, so Günadyin. Und Gökay Sofuoglu beobachtet: „Umso älter die Menschen sind, desto mehr ziehen sie sich zurück und kehren zu ihren ursprünglichen Wurzeln zurück.“

Vor besondere Aufgaben stellen deutschsprachige Pfleger Muslime mit Demenzerkrankung. Denn bei der Krankheit vergessen die Pflegebedürftigen zumeist als erstes die später erlernte Zweitsprache und sind auf Muttersprachler angewiesen.