Bei der Auslieferung ihrer Waren müssen Mitarbeiter des Sanitätshauses Gunser zurzeit besondere Vorsicht walten lassen. Foto: Stoppel

Die Beratungsstelle registriert viele Anrufe von Familien, denen Betreuungskräfte für ihre Angehörigen fehlen. Einen personellen Engpass gebe es noch nicht, heißt es hingegen von einer Weinstädter Vermittlung. Auch Hilfsmittel werden noch geliefert

Waiblingen - Über fehlende Arbeiter aus Polen, Bulgarien und Rumänien für die Spargel- und Erdbeerernte ist in jüngster Zeit viel diskutiert worden. Doch wie geht es Familien, die auf die Hilfe ausländischer Betreuungskräfte für ihre Angehörigen angewiesen sind?

Pflegenotstand stark verschärft

Sehr schwierig – so beschreibt Brigitte Wiedenmann vom Pflegestützpunkt des Rems-Murr-Kreises die Situation vieler Familien und ihrer pflegebedürftigen Angehörigen. Das Team des Pflegestützpunkts berät Ratsuchende neutral dazu, wie Pflege zu Hause möglich ist. Es hilft beispielsweise bei der Suche nach einem Kurzzeitpflegeplatz in der Urlaubszeit. Derzeit, mitten in der Corona-Krise, geht es am Telefon aber um anderes. „Die Leute rufen an, weil sie in großer Not sind. Zum Beispiel weil sie wissen, dass ihre Betreuungskraft nur noch kurze Zeit da ist, sie aber keinen Ersatz haben. Es melden sich auch Familien, deren Angehörige aus dem Krankenhaus entlassen werden. Für diese hätten sie dann gerne eine 24-Stunden-Betreuungskraft, die die Agentur aber nicht so rasch organisieren kann“.

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Durch die Corona-Epidemie habe sich der Pflegenotstand erheblich verschärft, sagt Brigitte Wiedenmann, die dieser Tage bisweilen Familienangehörigen am Telefon erklärt, wie sie ihren Pflegebedürftigen daheim aus dem Bett heraushelfen können. „Angehörige lassen sich zum Beispiel vom Pflegedienst oder Hausarzt anleiten, wie sie selbst Insulin spritzen können.“ Und zwar, weil eine Betreuungskraft fehlt, oder auch, weil Familien den Pflegedienst abbestellt haben, weil sie befürchten, dass Mitarbeiter das Virus ins Haus bringen könnten.

Ein Netzwerk ist wichtig

Wer gerade einen Pflegeheimplatz sucht, hat es besonders schwer. „Das Aufnahmeverhalten in Pflegeheimen ist überwiegend sehr zurückhaltend“, sagt Wiedenmann. „Der zuverlässigste Betreuungsdienst ist gerade die eigene Familie – mit allen Höhen und Tiefen“. Besonders schwierig sei die Lage daher für jene, die keine Angehörigen hätten.

Eine Sache, die man aus Corona lernen könne, sei, dass sich jeder, ob alt oder jung, rechtzeitig überlegen müsse, auf welche Menschen er sich in einer Notsituation verlassen könne. „Ich muss in guten Tagen schauen, dass ich ein Netzwerk habe und weiß, wo es Menschen gibt, die sich um mich kümmern“, sagt Brigitte Wiedenmann. Ganz wichtig sei für jeden Erwachsenen eine Vorsorgevollmacht.

Viele Pflegeheime nehmen keine neuen Bewohner auf

Verhalten optimistisch – so beschreibt Marcus Kälin die derzeitige Lage in seinem Unternehmen. Seit rund zehn Jahren betreibt er mit seinem Geschäftspartner Oliver Wild die Firma Pflegepiloten mit Sitz in Weinstadt. Diese vermittelt mithilfe von Kooperationspartnern Betreuungskräfte aus europäischen Ländern für die häusliche 24-Stunden-Pflege an private Haushalte. Derzeit kümmern sich laut Kälin 250 Kräfte um die gleiche Zahl von Patienten. „Wir können uns noch relativ gut organisieren“, schildert Marcus Kälin die Situation, „viele Betreuerinnen, die geplant hatten, demnächst nach Hause zu fahren, haben ihren Einsatz verlängert.“

Einen personellen Engpass gebe es bei den Pflegepiloten daher bislang nicht, obwohl diese in den vergangenen Wochen eine verstärkte Nachfrage registrierten – gerade auch von neuen Kunden. Für diesen Anstieg kämen verschiedene Gründe in Betracht, sagt Marcus Kälin. In manchen Familien ist möglicherweise eben zufällig jetzt der Zeitpunkt erreicht, an dem die Angehörigen die Pflege nicht mehr alleine bewältigen können. Hinzu kommt, dass viele Pflegeheime derzeit wegen der Corona-Krise keine neuen Bewohner aufnehmen. „Manche Kunden sind vielleicht bisher von einer Agentur betreut worden, die nun nicht mehr für eine Weiterbetreuung sorgen kann“, nennt Marcus Kälin einen weiteren Grund.

Rezepte gelten länger

Noch geht bei den Pflegepiloten niemand leer aus. „Für Wechsel, die stattfinden müssen, haben wir Ersatz. Und es gibt auch jetzt Betreuungskräfte, die wir neu gewinnen konnten“, berichtet Marcus Kälin. Die veränderte Situation an den Grenzen bereiteten noch keine Schwierigkeiten: „Rein nach Deutschland ging es bisher immer.“ Bei der aktuellen Lage könne man aber „maximal für 14 Tage im Voraus planen“. Marcus Kälin schätzt aber, dass er auch künftig genügend Betreuer findet, und geht davon aus, dass die Pflegekräfte als Berufspendler angesehen werden, für die es nach dem derzeitigen Stand keine Quarantänevorschriften gibt.

Doch wie gelangen Hilfsmittel wie Rollatoren oder Pflegebetten zu den Pflegebedürftigen? „Die Lieferkette läuft noch ganz gut“, sagt Annette Gunser vom gleichnamigen Sanitätshaus in Waiblingen, „manchmal muss man eben eine Woche warten.“ Angesichts der Corona-Krise kämen die Kunden, die ja häufig im kritischen Alter seien, nicht mehr so häufig in die Läden, einiges lasse sich aber telefonisch regeln. Denn Produkte wie Kompressionsstrümpfe dürften nun, anders als sonst, per Post verschickt werden. Das gelte auch für Rezepte. Und die Regel, dass letztere bei Hilfsmitteln nur vier Wochen gültig sind, sei wegen der Corona-Epidemie außer Kraft: „Das darf jetzt auch sechs bis acht Wochen dauern.“

Aufbau mit Schutzkleidung

Muss ein reparierter Rollator oder eine Dekubitus-Matratze in eine Pflegeeinrichtung geliefert werden, so werden die Hilfsmittel dieser Tage am Tor abgegeben. Komplizierter wird es, wenn etwa ein Pflegebett in einen privaten Haushalt gebracht und aufgebaut werden muss. „Unsere Auslieferer gehen noch in die Häuser und bauen auf, dabei tragen sie Schutzkleidung“, sagt Annette Gunser.