Die Organisatoren und die Wengerter freuen sich Foto: factum/Jürgen Bach

Färberkamille und Natternkopf sind nur zwei der Pflanzen, die früher in den sonnigen Steillagen-Weinbergen gediehen. Jetzt sollen sie es wieder – dank der Aktion „Lebendiger Weinberg“. Denn wo Wildblumen sind, fühlen sich auch Insekten und andere Tiere wohl. Die Aktion zeigt aber auch, wie wichtig der Erhalt dieser uralten Kulturlandschaft ist.

Benningen/Hessigheim - Schmetterlinge, Käfer, Wildbienen oder gar Zauneidechsen – davon ist in den Benninger Weinbergen noch nichts zu sehen. Das Wetter ist ungemütlich kalt und nass. Doch ungeachtet dessen haben sich 40 Hobby-Wengerter schon am Vormittag aufgemacht, um mit ihrer Hände Arbeit dafür zu sorgen, dass im kommenden Sommer und Herbst nicht nur die Trauben reifen, sondern auch zahlreiche Wildtiere die terrassierten Steillagen beleben. So, wie es früher einmal war, bevor einst typische Pflanzen wie die Weinraute, der Natternkopf, die Färberkamille oder auch die Weinberglilie im Zuge der Rebflurbereinigung immer mehr verschwanden.

Denn die Wildpflanzen sind für die Insektenwelt unverzichtbar, und ohne Insekten fehlt nicht nur die Bestäubung, sondern auch die Nahrungsgrundlage für Vögel, Eidechsen und Co. Claus-Peter Hutter, der Leiter der Umweltakademie Baden-Württemberg, hat daher zusammen mit mehreren Weinbauorganisationen vor mehr als zehn Jahren die Aktion „Lebendiger Weinberg“ ins Leben gerufen, der sich unter anderem die Teilnehmer der Benninger Initiative „Wengerter auf Probe“, die Felsengartenkellerei Besigheim und Jungwinzer aus dem Landkreis Heilbronn angeschlossen haben. Mehr als 30 000 Pflanzen bereichern seitdem die Weinberge Baden-Württembergs, alleine 400 sind in Benningen frisch eingepflanzt worden.

Die Felsengartenkellerei macht erstmals bei der Aktion mit

Ebenso viele waren es wenige Kilometer weiter neckarabwärts in Hessigheim. Die Pflanzen hat das Land Baden-Württemberg der Felsengartenkellerei zur Verfügung gestellt. Die jungen Gewächse werden jetzt entlang des Gebiets der Genossenschaft in die Weinbergerde gesetzt. Die Felsengartenkellerei macht in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Aktion mit. Es sei ein bescheidener Anfang, räumt der Vorstandschef der Genossenschaft, Joachim Kölz, ein. Aber es sei ein Anfang, der in den kommenden Jahren fortgesetzt und erweitert werden soll.

Reinhold Reuschle ist einer der Traubenerzeuger der Genossenschaft, die sich bereit erklärt haben, beim Projekt „Lebendiger Weinberg“ mitzumachen. Er sieht in der Anpflanzung auf seinem spektakulär gelegenen Steilhang einen Beitrag, die Bedeutung der Steillagen für den regionalen Weinbau aufzuzeigen. „Diese schwer zu bewirtschaftenden Rebhänge sind ein wichtiges Biotop für seltene Pflanzen und Tiere“, betont er. Für Vorstandschef Kölz dient der „Lebendige Weinberg“ auch dem Insektenschutz. Benningen und Hessigheim sind aber nur zwei Beispiele: Auch in Heilbronn, Lauffen, Ingersheim, Besigheim, Gemmrigheim, Walheim, Bietigheim-Bissingen und Bad Cannstatt griffen Wengerter zur Pflanzkelle und verteilten 1500 Setzlinge in den von ihnen bewirtschafteten Steillagen. Die Kosten für die Benninger Aktion teilen sich die Umweltakademie und die Gemeinde. Denn die steilen Weinberge gehören zum Ortsbild. „Und um sie zu erhalten, braucht es Handarbeit. Hier kann kein Roboter schaffen“, betont Benningens Bürgermeister Klaus Warthon.

Auch die Steillagen selbst sind gefährdet

Doch genau das ist der Grund, warum auch die mit Trockenmauern terrassierten Steillagen ähnlich gefährdet sind wie das Ökosystem in den Weinbergen: Etliche Wengerter sind altersbedingt kaum noch in der Lage, die anstrengende Arbeit zu machen. Ein Wengert, in dem nicht mehr geschafft wird, droht aber für immer zu verschwinden. „Das Zeitfenster, die Steillagen zu retten, umfasst nur fünf bis zehn Jahre“, warnt Claus-Peter Hutter. Nach spätestens anderthalb Jahren seien in einem unbewirtschafteten Weinberg die Brombeeren drin, als nächstes komme dann der Hartriegel – und das sei schließlich der Anfang vom Ende.

„Was kaputt ist, legt niemand neu an“, ist auch der Benninger Wengerter Martin Heim überzeugt. Zusammen mit Werner Widmaier hat er deshalb die Initiative „Wengerter auf Probe für ein Jahr“ gegründet, bei der Laien unter fachlicher Anleitung selbstständig einen Weinberg bewirtschaften. Mit ungeahnter Resonanz: Von 20 Freizeitwengertern sind auch nach einem Jahr 18 noch dabei – allein zwölf neue sind in diesem Jahr mit dazugekommen.

Weitere Unterstützer sind willkommen

Zwei davon sind Simon Dobusch und Nastasja Gaßner. „Wir sind gerne draußen und trinken gerne Wein“, erklärt das junge Paar seine Motivation. Toll sei auch, dass man nach der Arbeit zu Fuß herkommen und noch ein bisschen im Freien schaffen könne – und dabei auch noch eine sinnvolle Aktion unterstützen.

Die Zahl der Wengerter auf Probe darf aus Sicht der Initiatoren übrigens noch steigen. „Im Moment sind zwar alle Parzellen vergeben, aber viele Wengerter hören in den nächsten Jahren altershalber auf“, erklärt Heim. Interessenten können sich bei der Gemeinde Benningen melden.