Heinrich Schmid stammt aus einer alten Pfarrersfamilie. Foto: Ge

Heinrich Schmid wird am 5. Mai als geschäftsführender Pfarrer der Johannesgemeinde im Stuttgarter Westen verabschiedet. Im Ruhestand will er seine Dauerkarte fürs Stadion besser nutzen – und sollten die VfB-Spiele auch zweitklassig sein.

S-West - Wenn dieses chorseits wie auf einer Halbinsel ruhende Kirchenschiff im Frühlingslicht erstrahlt, liegt es nicht unmittelbar nahe, in Gedanken hinüberzublenden nach Notre-Dame, zur dortigen Brandkatastrophe. Einer solchen aber wäre auch die Johanneskirche um ein Haar ganz zum Opfer gefallen, in einem 1944 von Brandbomben verursachten Feuer. Unter der Orgelempore erinnern Fotos daran, machen bewusst, dass das Gotteshaus mit dem Wiederaufbau eine „Kirche ohne Spitze“, ohne Turmhelm blieb. Und Pfarrer Heinrich Schmid kennt im Innern noch andere Spuren der Verheerung. Etwa an der Figur des Apostels Paulus, „dem der Krieg das Schwert aus den Händen geschlagen hat“, wie er sagt.

Vom Vater geprägt

Aus gutem Grund, so Schmid, sei die Johanneskirche „auch ein Mahnmal gegen Krieg und Gewalt“, und im Übrigen „auch für die Schuldgeschichte des Volkes und der Kirche“. Letzteres war ihm in den zehn Jahren, in denen er hier Pfarrer war, schon per Herkunft präsent: „Mein Vater hatte sich als Pfarrer auf die ,Barmer Theologische Erklärung‘ gestützt, das Gründungsmanifest der Bekennenden Kirche vom Mai 1934, wonach für Christen Christus der einzige Herr ist.“ Sein Vater habe nach dem Krieg „gerungen mit dieser Thematik und für die Friedens- und Versöhnungsarbeit sogar Russisch gelernt“. Das habe ihn als Sohn mitgeprägt. Sowieso habe „das Evangelium immer auch eine politische Dimension: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung. Das sind die zentralen Themen heute.“

Ganz durch ist damit das Thema Notre-Dame aber noch nicht, auch wenn er dabei „eine Ambivalenz“ empfinde: „Soviele Spenden hat Brot für die Welt noch nicht bekommen, und gleichzeitig ignorieren wir, dass Migranten im Mittelmeer ertrinken.“ Auf der anderen Seite sieht Schmid auch an seiner Kirche, außerhalb der Gottesdienste, „dass Menschen solche Orte brauchen, um in der Hektik der Stadt und vielleicht auch im Chaos ihres Lebens zur Ruhe zu kommen. Es ist erstaunlich, wieviele Menschen im Alltag hier eine Kerze anzünden und verweilen“. Auch daraus ergebe sich die Pflicht, solche Gebäude zu erhalten“.

Martin Luther besonders nahe

Besonders nahe ist Schmid, der als geschäftsführender Pfarrer der Johannesgemeinde im Rahmen eines Gottesdienstes am 5. Mai in den Ruhestand verabschiedet wird, in der Johanneskirche die in die Kanzelsäule integrierte Luther-Figur: „Mir gefällt, dass sie nicht so groß dimensioniert ist, denn das weist daraufhin, was wirklich wichtig ist: Das Wort, die Botschaft des Evangeliums.“ Ein ganz spezieller Punkt, habe ihn bewegt, Pfarrer zu werden und das bewege ihn bis heute: „Dass das Evangelium dem Menschen einen Wert zuschreibt, unabhängig von dem, was unsere Leistungsgesellschaft definiert. Ich muss nichts haben, besitzen, beweisen. Als Kind Gottes habe ich als Mensch einen Eigenwert.“

Wie elementar dies sei, habe er eben wieder bei den Konfirmanden erlebt, „die von ihrer Lebensphase her besonders nach Identität und Selbstwert suchen, was zugleich ein lebenslanges Thema ist“. Und tagtäglich erfahre er das beim Besuch älterer Menschen, „die sich fragen, ob sie überhaupt noch etwas wert seien“. Das Evangelium versichere ihnen „als Zuspruch diesen Wert“, der aber auch „ein Anspruch“ sei: „In dieser Welt mit unseren Gaben zu wirken, als Christ sich um seine Mitmenschen zu kümmern.“

Um die Zukunft der Kirche nicht bange

In dieser Doppelrolle habe er sich auch als Pfarrer immer gesehen: „Als Prediger und als Seelsorger“, und so blicke er „mit großer Dankbarkeit“ auf die nun zu Ende gehenden 39 Jahre im Dienst der württembergischen Landeskirche: „Ich habe es nie bereut, ich war immer gerne Pfarrer, denn ich habe mich immer gebraucht gefühlt“. Dass die Kirche nicht mehr Volkskirche ist, macht ihn nicht bange: „Die Bedeutung von Kirche hängt nicht an der Höhe der Kirchensteuer. Die Urgemeinde war klein, Paulus hat mitten in einer Multi-Kulti-Umgebung von verschiedenen Religionen gepredigt. Wir müssen als Christen den Menschen zugeneigt sein, sie aufsuchen, zuhören, trösten, helfen. Dann sind wir das Salz der Erde und das Licht der Welt.“

Als „typisches württembergisches Pfarrerskind“ war Heinrich Schmid viel herumgekommen, ist selbst aber in Bad Cannstatt, wo er seine Jugend verbrachte, heimisch geworden. Etwa als Pfarrer der Andreäkirche, die er 18 Jahre betreut hatte, bevor er 2009 zur Johannesgemeinde kam.

Familientradition geht zu Ende

Von Cannstatt geblieben ist ihm etwa die Treue zum VfB: „Jetzt kann ich die Dauerkarte regelmäßig nutzen“, freut sich Schmid auf seinen Ruhestand, und fügt hinzu: „Gegebenenfalls auch in der Zweiten Liga.“ Ähnlich gelassen sieht der Vater von vier erwachsenen Kindern, dass mit ihm als Pfarrer in der achten Generation nun eine Familientradition zu Ende geht: „Der Heilige Geist wird nicht vererbt!“