Astrid Meyerfeld in „Drachenblut“ Foto: Stöß

Wie selbstbestimmt sind Frauen eigentlich, und wie hoch ist der Preis, den sie dafür zahlen? Das fragt Regisseur Armin Petras in einem literarisch interessanten Vergleichsexperiment. Heftiger Applaus bei der Premiere gab es für die Schauspielerinnen Fritzi Haberlandt und Astrid Meyerfeldt.

Wie selbstbestimmt sind Frauen eigentlich, und wie hoch ist der Preis, den sie dafür zahlen? Das fragt Regisseur Armin Petras in einem literarisch interessanten Vergleichsexperiment. Heftiger Applaus bei der Premiere gab es für die Schauspielerinnen Fritzi Haberlandt und Astrid Meyerfeldt.

Stuttgart - Eine Frau (Fritzi Haberlandt) in einem langen Kleid. Und ein Mann (Hans Löw), groß, gut aussehend, in Uniform. Es herrscht Cocktailstimmungsübermut. Sie strahlt, er schmachtet. Er hat ihr das Leben gerettet, als seine Soldaten sie verschleppen und sich an ihr vergehen wollten. Aber ein bisschen wirr ist er doch, überfällt sie mit Sofort-Heiratswünschen – später stellt sich heraus, dass er die Frau womöglich vergewaltigt hat.

Szenenwechsel zwei Stunden später am Samstag im Stuttgarter Kammertheater: Eine Frau (Astrid Meyerfeldt) im Rosafunkelkleid, ein Mann (Maximilian Simonischek) mit Schnurrbart und Schlaghose, groß, gut aussehend. Und auch er: ein bisschen verwirrt. Stürmt die Wohnung der Frau mit einem Topf verbrannten Essens, macht keine langen Faxen, legt sich zu ihr ins Bett, sie kann ihm nicht widerstehen. Später stellt sich heraus, dass er schon verheiratet ist, auch er fügt ihr Schmerz zu.

Schauspielintendant und Regisseur Armin Petras hat mit Heinrich von Kleists „Die Marquise von O.“ (1810) und Christoph Heins „Der fremde Freund/Drachenblut“ (1982) zwei in ihren Gefühlsgraden unterschiedliche Novellen zu einem Dramenabend zusammengespannt. Heins Text ist eine analytisch genaue Ich-Erzählung der Ärztin Claudia, die emotional verhärtet und lakonisch, illusionslos von einer Zeit berichtet, in der sie mit einem Mann liiert war, der in einem absurden Streit von einem Jugendlichen erschlagen wurde.

Kleists Text – hochdramatisch, viele Tränen, noch mehr Verwirrungen. Eine Frau, die schwanger wird, ohne zu wissen, wie es dazu kam. Womöglich ist ausgerechnet ihr Lebensretter, der Graf, der Vergewaltiger (auf jeden Fall einer, der diese Tat nicht zu verhindern wusste).

Kleist lässt offen, wer der Vater ist. Und Hans Löw, der den Grafen sehr ernst, sehr sanft interpretiert, verschluckt sich zwar verräterisch, wenn über seine Heldentat geredet wird, und doch wirkt er immer wieder auch einfach nur ehrlich besorgt und verliebt. Engel oder Teufel? Im Zweifel beides.

Das schwierige Verhältnis von Männern und Frauen

Die Texte scheinen auf den ersten Blick wenig gemein zu haben – abgesehen davon vielleicht, dass beide Heldinnen bereits einmal verheiratet waren und sich geschworen hatten, nicht mehr zu heiraten. Aber beide Texte werfen Fragen auf, die über die Jahrhunderte hinweg aktuell geblieben sind: das schwierige Verhältnis von Männern und Frauen, Verfügbarkeit von Frauen und ihr Emanzipationsanspruch, Eitelkeit und Ehre, Einsamkeit und Verdrängung.

Kleists überbordende Emotionalität zeigt sich in einer gelungen-dramatisierten Regiearbeit – großartige Bilder und ironische Heldenzitate mit aus dem Nebel auftauchenden Mannsbildern. Es folgt Heins eher lakonisch kühler Ton – auch inszenatorisch. Das nachdenklich Referierende hat es naturgemäß schwerer, hier tendiert die Inszenierung sehr zur bloßen szenischen Lesung mit lediglich angedeuteten Spielszenen.

Und doch funktioniert das Doppelspiel. Plausibel wird manches sich kaum oder gar nicht ändernde Verhalten mit der Besetzung der Schauspieler dokumentiert. Maximilian Simonischek ist bei Hein der forsche Geliebte; Claudia (Astrid Meyerfeldt) erzählt, wie er seine männliche Überlegenheit schon mal mit Ohrfeigen demonstriert. Und eher en passant erwähnt er, dass er verheiratet ist und zwei Kinder hat. Einer, dem Ehre ansonsten viel wert ist und der sich wegen eines blöden Hutes tödlich prügelt. Ähnliches Machogehabe legt Simonischek als Vater der Marquise an den Tag, der immerzu brüllt, er habe im Krieg zwar verloren, „aber meine Ehre ist unverletzt“.

Die fabelhafte Cristin König wiederum ist bei Kleist die zärtliche Mutter, die sich eine Wiedervermählung der Tochter wünscht, aber ziemlich rabiat wird, als ihre Tochter behauptet, nicht zu wissen, von wem sie schwanger ist. Bei Hein spielt sie ebenfalls die Mutter, auch sie wünschend, die Tochter möge doch nicht Single bleiben. Katharina Knap spielt bei Kleist den vernachlässigten, herrlich sonderlichen Sohn der Familie und eine ebenfalls von der Welt vergessene alte Frau bei Hein.

Fritzi Haberlandt vermeidet jegliches Pathos

Und die Heldinnen? Begeistern. Versuchen, sich mit diesen Männern, ohne die es ja doch auch nicht geht, irgendwie zu arrangieren. Fritzi Haberlandt vermeidet jegliches Pathos, macht den Text herrlich leicht, wenn sie – schwups – eine Blockflöte unterm Rock hervorzaubert und mit Bruder und Eltern „Am Brunnen vor dem Tore“ anstimmt. Oder wenn sie ihre Eltern kokett zurückfragt, „menno, was meint ihr denn?“, als die wissen wollen, wie sie den Grafen findet.

In dem Moment aber, in dem sie registriert, dass die Mutter die „unbewusste“ Schwangerschaft nicht geglaubt hat, erstarrt die sonst heiter wirkende Frau, ihre Miene bleibt unsäglich verletzt. Der Text gibt vor, die Tochter verzeihe ihr, dem Vater und dem Grafen, doch ihr Blick sagt etwas anderes.

Und so ist es auch bei der Heldin Heins. Solange Astrid Meyerfeldt neben der Bühne steht und mit wunderbar heller Stimme nur so über andere Leute redet, ist sie sicher. Das ändert sich, sobald sie die Bühne und das Spielfeld (des Lebens) betritt. Bühnenbildnerin Annette Riedel hat ein riesiges Wipp-Plateau gebaut – hier verlieren die Ärztin genauso wie die Marquise und alle anderen ihren festen Halt: schwankender Boden in einer Welt, der Wahrheit und Gewissheiten abhandengekommen sind.

Sie will sich in den Eindringling nicht verlieben, sie lässt sich doch zu gern von ihm lieben, zu gern tanzt sie mit ihm, zu sehr schätzt sie seine Lässigkeit. Dass sein Tod ihr nahegeht, gesteht sie sich nicht ein. Unbeirrt steht sie da und sagt: „Es geht mir gut, ich bin zufrieden.“ Doch ihr Blick ist leer. Sie hat für die vermeintliche Coolness alles Gefühl abgetötet. Sie plädiert gegen Psychologismus und Aufarbeitung von Kränkungen, von Trauer. Verdrängen, sich abfinden mit der Konvention, so die bei allen Unterschieden dann doch gleiche Lehre beider Stücke an diesem Abend, ist aber auch keine Lösung.

Alle Termine (12.–16.,18. Mai) sind ausverkauft. Eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse im Kammertheater. An diesem Montag um 18 Uhr liest Christoph Hein im Foyer des Schauspielhauses aus seinem Werk „Vor der Zeit: Korrekturen“.