Peter Weibel in seinem Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie Foto: dpa

Er ist Präsident des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, scheint ständig unterwegs und doch überall zu Hause zu sein. An diesem Mittwoch wird Peter Weibel 70 Jahre alt. Für ihn eher ein Grund, das Tempo noch zu erhöhen.

Er ist Präsident des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, scheint ständig unterwegs und doch überall zu Hause zu sein. An diesem Mittwoch wird Peter Weibel 70 Jahre alt. Für ihn eher ein Grund, das Tempo noch zu erhöhen.

Karlsruhe - Wenn er sitzt, hat er die Arme gerne vor der Brust gekreuzt. Aber immer nur, um wieder buchstäblich weit auszuholen. Sich vorbeugend, schnell in den Worten, Sätze reihend, die nur scheinbar keinen Anfang und kein Ende haben. Dann lacht er auf. Wartet. Haben Sie verstanden?, ist die stumme Frage. Eher aber: Sie haben doch verstanden?

Peter Weibel weiß wohl, dass dies in seinen vielen Gesprächen nicht immer der Fall ist. Aber er vermittelt noch immer und immer wieder den Eindruck, dass eben dies eigentlich nicht sein könne. Dass man sich doch gerade mit ihm aufmachen müsse in neue Welten – der Kunst, der Forschung, der Gesellschaft.

Schon sein Geburtsort ist eine Herausforderung. Odessa. Vielvölkerstadt Schwarzmeerhafen, 1917 Bühne der bolschewistischen Revolution. 1944 ist er dort geboren. In Oberösterreich aber wächst er auf. In einer Kleinstadt zwar, aber nicht etwa in erhoffter Geborgenheit. „Ich war ein Schlüsselkind“, sagt Weibel, „ich war auf der Straße. Ich musste lernen, alles selber zu machen.“

Selber machen – das treibt ihn. Er studiert in Paris und Wien. Literatur, Philosophie, Mathematik, Medizin. Die Logik fasziniert ihn – nicht weniger deren radikale Infragestellung.

Selber machen – das bleibt. Als Aktionskünstler ebenso wie als Organisator von Ausstellungen, Diskussionen, Festivals. Die Jüngeren verblüfft der Vordenker entgrenzter Kunstwelten nicht zuletzt durch die Selbstverständlichkeit, mit der Weibel sie in den Ring schickt. Bei aller Theorielust nimmt Weibel sein Gegenüber doch immer ernst, voller Erwartung auf Widerspruch in der Sache.

Seit mehr als drei Jahrzehnten gehört Peter Weibel zu den weltweit führenden Akteuren der Aktions- und der Medienkunst. Selbst immer wieder künstlerisch hervortretend, ist Weibel von Beginn an auch als Ausstellungsmacher und als forschender Theoretiker tätig.

Stärker noch als die konzeptorientierten künstlerischen Arbeiten greifen Weibels kuratorischen Projekte in den gesellschaftlichen Raum aus. Zentrale Fragen hierbei sind die Zukunft demokratischer Strukturen in einer Welt multimedialer Botschaftsallmacht, der Widerstreit zwischen der Sehnsucht nach Individualität und der Realität des Eingebundenseins in globale Strukturen sowie zwischen institutionellen und projektorientierten Strukturen.

Letzteres drückt sich auch in Peter Weibels Rolle als Präsident des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe aus. Weibel, lange Jahre auch Kommissar für den österreichischen Pavillon auf der Biennale Venedig, lenkt das ZKM als Nachfolger von Heinrich Klotz seit 1999.

In dieser Rolle zeigt Weibel noch ein anderes Gesicht. Manches musste geklärt werden, sagt er später über den Streit um das von Götz Adriani erst mit initiierte und dann geleitete Museum für Neue Kunst. Weibel empfindet es als Fremdkörper – wirklichen Mehrwert bringt die vollständige Integration in das ZKM aber nicht.

Umgekehrt aber ist das ZKM unter Weibel sehr wohl ein Motor – nicht zuletzt für die Hochschule für Gestaltung, ebenso ein Erbe aus der Zeit von Heinrich Klotz, der dem Denken der Zukunft mit Rückendeckung des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth nicht mehr nur eine Bühne, sondern eine feste Produktionsstätte geben sollte. Der Philosoph Peter Sloterdijk als Rektor der HfG und Peter Weibel als Präsident des ZKM – das ist der Stoff, der die ehemaligen Produktionshallen einer Waffenschmiede zu einem Magneten für Studierende aus ganz Europa macht. Und doch warnt Peter Weibel als Gast der Veranstaltungsreihe „Über Kunst“ unserer Zeitung: Zwar liege Baden-Württemberg im deutschen Vergleich im Bereich Forschung weit vorne, Deutschland insgesamt jedoch bleibe im internationalen Vergleich weit hinten: „Man ist blind für die Innovation“, sagt er und führt als Beispiel die Entwicklung „randomisierter Suchprogramme“ im Internet an. Herkömmliche Suchmaschinen vergleicht er mit einer „kartesischen Biene“, die das Fenster, das sie durchfliegen möchte, systematisch absucht und zuletzt stirbt. Weibels randomisierte Fliege dagegen stößt von der Scheibe ab, in den Raum hinaus, zufällig auf die Scheibe zurück, und hat eine größere Chance.

Bis 2019 läuft sein Vertrag als Lenker des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. 75 wird Weibel dann. 2017 soll die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger beginnen. Was aber ist schon in drei Jahren. Jetzt engagiert sich Weibel unter anderem für raumfüllende Lichtskulpturen der Stuttgarter Objekt- und Bühnenkünstlerin Rosalie und denkt parallel daran, die Geschichte der Skulptur neu zu schreiben. „Skulptur ist mehr als Volumen und Masse, auch die Luft in Seifenblasen ist Skulptur“, sagt Peter Weibel, jüngst mit dem Oskar-Kokoschka-Preis der österreichischen Staatsregierung ausgezeichnet, und wartet erst gar nicht, wie man reagiert. „70.“ „Klingt gut – oder?“ Stimmt eigentlich. Vor allem, da man Peter Weibel diese Zahl eh nicht abnimmt.