Vielen Geflüchteten kann geholfen werden in den Jobcentern – andere Leistungsberechtigte müssen womöglich hintanstehen. Foto: dpa-tmn/Jens Kalaene

Weil im Bundeshaushalt für 2025 eine massive Budgetkürzung droht, haben die Jobcenter-Personalräte Kanzler Scholz einen Brandbrief geschickt. Denn die Anforderungen werden, wie beim Jobturbo, immer höher – mit erstaunlichen Folgen.

Unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Jobcenter gärt es mal wieder. Die Bundesregierung hat das sogenannte Globalbudget der Jobcenter für das Haushaltsjahr 2025 derart knapp bemessen, dass die Beschäftigten ihre ursprünglichen Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Es geht aus ihrer Sicht um eine Lücke von mehr als einer Milliarde Euro.

 

Wohin führen die Finanznöte? „Der vorliegende Haushaltsentwurf erodiert das Grundsicherungssystem nachhaltig und steht für langfristig irreparablen Schaden“, heißt es in einem Brandbrief der Arbeitsgemeinschaft der Jobcenter-Personalräte an Kanzler Olaf Scholz (SPD), der unserer Zeitung vorliegt. Eindringlich wird der Regierungschef aufgefordert, das Budget im Jahr 2025 „seriös“ auszugestalten, indem insbesondere der starke Zuwachs bei den Fallzahlen einkalkuliert wird. 2,95 Millionen Bedarfsgemeinschaften und 4,02 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte wurden im August gezählt; Tendenz weiter steigend.

Schon seit Jahren reagieren die Jobcenter auf den Sparzwang mit internen Umschichtungen: Um das Personal noch bezahlen zu können, werden Mittel von den Eingliederungsmaßnahmen ins Verwaltungskostenbudget umgeleitet. Nun verschärft sich die Problematik noch: „Nicht selten können Jobcenter ihr Personal ab 2025 nicht mehr finanzieren, da das Umschichtungsvolumen aus dem Eingliederungstitel nicht mehr ausreicht“, warnen die Personalräte. Die Jobcenter-Kundschaft leidet demnach massiv unter den Finanznöten: „Der vorliegende Haushaltsentwurf erodiert das Grundsicherungssystem nachhaltig und steht für langfristig irreparablen Schaden“.

Was bedeutet die Misere in Euro? 2023 betrugen die Ausgaben der Jobcenter 10,13 Milliarden Euro – nach 9,9 Milliarden Euro ein Jahr davor. Laut dem Regierungsentwurf für das Haushaltsjahr 2025 sollen die Verwaltungs- und Eingliederungsmittel, also das Globalbudget, nur noch 8,95 Milliarden Euro betragen. Dabei wurde 2023 stufenweise das Bürgergeld eingeführt und 2024 der Jobturbo für Geflüchtete hochgefahren. Zudem drücken die Inflation und stark steigende Tariflöhne für das Personal.

Dies alles „stellt die Jobcenter grundsätzlich in ihrer Funktionsfähigkeit in Frage“, mahnt Moritz Duncker, der Vorsitzende der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft. Für einige Häuser könne es existenzbedrohend werden. Wenn dies dann zu einer Zentralisierung der Jobcenter führe und die Kundschaft 100 Kilometer zu ihrem persönlichen Beratungsgespräch pendeln müsse, „wäre dies der Supergau“, bekräftigt der Personalratsvorsitzende im Jobcenter Reutlingen.

Welchen Effekt hat der Jobturbo? „Die Bürgergeldreform ist bis heute nicht wirklich umgesetzt worden“, heißt es in dem Schreiben an Olaf Scholz. „Zum Einen haben wir das Geld gar nicht, um diese zwar sinnvollen, aber sehr teuren Maßnahmen zu finanzieren“, erläutert Duncker. „Zum Anderen ist zwischendrin der Jobturbo eingeführt worden, für den wir nicht mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet wurden.“ Als Konsequenz daraus hätten sich die Jobcenter nur noch um die Geflüchteten aus der Ukraine und den acht wichtigsten Asylherkunftsländern (Syrien, Afghanistan etc.) gekümmert – alle anderen Leistungsberechtigten seien „ein bisschen hinten runtergefallen“.

Andernfalls wären die Vorgaben des Jobturbos – zum Beispiel ein Kontakt zu jedem Kunden binnen sechs Wochen nach Beendigung des Integrationskurses – gar nicht machbar gewesen. Selbst diese vorgegebene Kontaktdichte sei vielerorts nur dadurch erreicht worden, „indem man eben ganz viele Gruppenmaßnahmen durchgeführt hat“. Oder aber es wurden Bewerbertage bei Arbeitgebern organisiert, für die lediglich Leistungsberechtigte angemeldet werden durften, die aus der Ukraine oder den anderen acht Herkunftsländern stammen.

Geht das Tempo vor Nachhaltigkeit? Der Brandbrief der Personalräte an den Kanzler offenbart auch einen Einblick in die Praxis der Jobcenter: Demnach ist zum Beispiel der Vermittlungsvorrang – gemeint ist der mit der Bürgergeldreform abgeschaffte Vorrang einer Vermittlung in einen Job – „durch die Hintertür faktisch wieder eingeführt worden“, wie es heißt. Ziel des Bürgergelds sei eigentlich eine nachhaltige und qualitative Integration, auch mit berufsqualifizierenden Abschlüssen, gewesen, sagt Duncker. „Von diesem Gedanken hat man sich aufgrund der fehlenden Finanzausstattung im Rahmen des Jobturbos mehr und mehr verabschiedet.“ Letztlich stehe wieder die schnelle Integration im Vordergrund. „Wenn ich aber einen Geflüchteten einladen muss, der überhaupt noch keinen Integrationskurs absolviert hat und der mit seinen Sprachkenntnissen nicht einmal in eine Helfertätigkeit vermittelt werden kann, dann mache ich da einfach nur Zeit kaputt.“

Was bedeutet die Misere für das Personal? Die Jobcenter würden „mit noch ausufernderer Statistik und (zuweilen rechtswidriger) Rechenschaftspflicht gegenüber den Regionaldirektionen und der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit überzogen und unsere Integrationsfachkräfte nicht selten bei ihrer wohlverstandenen Arbeit behindert“, kritisieren die Personalräte. Für die intern beklagte „Häkchenzählerei“ war die Bundesagentur für Arbeit schon früher bekannt. Nach einem zwischenzeitlichen Gegensteuern sei es „im Rahmen des Jobturbos wieder völlig in die falsche Richtung gegangen“, sagt Duncker. Zwar brauche es gewisse Kennzahlen und Qualitätszahlen zur Überprüfung der Prozesse – aber die Beschäftigung mit den Statistiken dürfe nicht unnötig Ressourcen für Integrationsprozesse und qualitative Arbeit entziehen. „Da ist wieder etwas ins Ungleichgewicht geraten.“

In den Reihen der Personalräte wächst insofern der Wunsch an die Geschäftsführungen, die Situation nicht weiter schönzureden, sondern mehr Ehrlichkeit an den Tag zu legen. Immerhin: eine Befragung des BA-Forschungsinstituts IAB hat jüngst schon ans Licht gebracht, dass sich die oberen Führungskräfte bei den Jobcentern mehr Geld für die Arbeitsförderung und vor allem für das Personal im Jahr 2024 gewünscht hätten.