Wer zieht in die Chefetage des EZB-Hochhauses in Frankfurt ein? Foto: dpa

Im Machtpoker um die Besetzung europäischer Spitzenposten schielt Berlin offenbar auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Der Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) ginge dann an ein anderes Land. Bislang galt Bundesbankpräsident Jens Weidmann als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von EZB-Chef Mario Draghi.

Frankfurt - Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing sieht die Gefahr, dass die Bundesregierung eine große Chance vergibt. Die Neubesetzung des Chefsessels der Europäischen Zentralbank (EZB) sei von großer Bedeutung, sagte Sewing am Mittwoch auf dem „Bankengipfel“ des Handelsblatts in Frankfurt: „Ich halte diese Position für enorm wichtig, auch für Deutschland.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird indes von Parteifreunden gedrängt, sich im Machtpoker um europäische Spitzenposten auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zu konzentrieren.

Damit schwinden die Chancen für Bundesbankchef Jens Weidmann, im Herbst 2019 den amtierenden EZB-Präsidenten Mario Draghi zu beerben. Dabei wäre eine Berufung Weidmanns an die Spitze der EZB ein Entspannungssignal an die deutsche Öffentlichkeit, die Draghi überwiegend kritisch sieht. Denn die von dem Italiener durchgesetzte Niedrigzinspolitik zehrt an den Rücklagen der Sparer und erschwert langfristig die Altersvorsorge. Zwar sind die niedrigen Zinsen für Kreditnehmer eine Erleichterung, aber wegen der guten Wirtschaftslage wiegt dieser Vorteil in Deutschland nicht annähernd so schwer wie in den hoch verschuldeten Volkswirtschaften Südeuropas.

Weidmann ist Draghis bekanntester Widersacher

Als Vertreter Deutschlands im EZB-Rat fordert Weidmann deshalb immer wieder eine Kurskorrektur. Vielen Bundesbürgern spricht er damit aus der Seele – aber in den Mittelmeerländern dürfte eine Berufung des wohl bekanntesten Draghi-Widersachers an die Spitze der Notenbank auf heftigen Gegenwind stoßen.

Widerstände, mit denen Weidmann selbst bei einer erfolgreichen Kandidatur als EZB-Chef weiter zu kämpfen hätte: „Er wäre ein schwacher Präsident, denn alle wissen, dass er im EZB-Rat keine Mehrheit hat“, sagt Peter Spahn, emeritierter Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Hohenheim. „Die Vorstellung, dass ein deutscher Präsident die EZB auf Bundesbank-Kurs bringen würde, ist eine Fehleinschätzung.“

Auch als EZB-Präsident hätte Weidmann im Rat, dem wichtigsten Entscheidungsgremium der Notenbank, nur eine von über 20 Stimmen. Mit EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger gehört dem Rat zwar noch eine weitere Deutsche an, aber eine Mehrheit für eine restriktivere Geldpolitik wäre nach Einschätzung Spahns kaum zu organisieren: „Die Niederlande, Österreich, vielleicht noch Finnland und die Balten sind auf Weidmann-Kurs. Wenn man den Kurs dieser Staaten durchsetzen wollte, müsste man einen großen Streit vom Zaun brechen, bei dem obendrein unklar ist, ob man ihn gewinnen kann.“

Der EZB-Präsident hat noch andere Einflussmöglichkeiten

Der Volkswirt Hans Peter Grüner von der Universität Mannheim sieht das etwas anders. „Geldpolitik ist nicht nur eine Frage konkreter Beschlüsse, sondern auch der Kommunikation. Dabei hat der EZB-Präsident schon einen gewissen Spielraum“, gibt Grüner zu bedenken. Dies habe Amtsinhaber Draghi im Jahr 2012, auf dem Höhepunkt der Eurokrise, bewiesen. In einer mittlerweile legendären Rede vor Finanzinvestoren in London kündigte der Italiener damals an, die EZB werde „alles Notwendige tun, um den Euro zu retten“. Wenig später beschloss der EZB-Rat, hoch verschuldete Staaten notfalls durch den Kauf von Staatsanleihen zu stützen, also ihre Finanzierungskosten zu senken.

An diesem vor allem in Deutschland heftig umstrittene Beschluss habe nach Draghis Rede kaum noch ein Weg vorbei geführt, erklärt Professor Grüner: „Er hat ein starkes Signal gesendet. Die übrigen Mitglieder des EZB-Rats standen dann vor der Entscheidung, entweder mitzuziehen oder aber heftige Turbulenzen an den Märkten zu riskieren.“

Neben der Macht des Wortes stünden dem EZB-Präsidenten noch weitere Instrumente zur Verfügung, sagt Grüner. Da die Ratssitzungen von Experten in der EZB-Zentrale vorbereitet werden, könnten diese versuchen, die Beratungen in eine gewisse Richtung zu lenken. Als Beispiel nennt er die Einschätzungen der Rechtsabteilung, die vor bestimmten Entscheidungen zu Rate gezogen werden muss. Bei dem umstrittenen Beschluss von 2012 hätten die Juristen der EZB eine ganz andere Auffassung vertreten als die Bundesbank. „Wenn sich da unter einem neuen EZB-Präsidenten der Wind drehen sollte, hätte das sicherlich Einfluss auf die Entscheidungen des Rates.“

Ob dieser Einfluss ausreichen würde, um die in einen deutschen EZB-Präsidenten gesetzten Erwartungen zu erfüllen, ist dennoch zweifelhaft. „Es ist klar, dass Jens Weidmann als EZB-Präsident die Mehrheitsentscheidungen des EZB-Rates verkünden und nach außen vertreten müsste,“ sagt Grüner.

Eine Frage der Prioritätensetzung

Vor diesem Hintergrund wäre es plausibel, wenn Bundeskanzlerin Merkel im EU-Personalpoker andere Prioritäten setzt. Zumal sie bei einer Niederlage im Ringen um die EU-Kommissionsspitze immer noch auf die EZB zurückkommen könnte. Denn da die Aspiranten für das Amt des Kommissionspräsidenten bei der Europawahl im Mai als Spitzenkandidaten ihrer jeweiligen Parteifamilien antreten, werden sich diese schon bald auf Bewerber festlegen müssen. Die Nachfolge von EZB-Chef Draghi dagegen können die EU-Staats- und Regierungschefs allein regeln, da bleibt ihnen bis zum Ablauf seiner Amtszeit Ende Oktober noch etwas Zeit.

Professor Spahn sieht gleichwohl das Risiko, „dass Deutschland am Ende mit leeren Händen aus dem Personalkarussell hervorgeht“. Die Konkurrenz schläft nicht – für den Posten des EZB-Präsidenten sind schon weitere Notenbankchefs im Gespräch, allen voran der Finne Olli Rehn und der Franzose François Villeroy de Galhau.