Wohin führt der Weg von Cem Özdmeir? Für die Spitzenpositionen in Partei und Fraktion will der 52-Jährige nicht kandidieren Foto: dpa

Bei den Grünen steht eine Erneuerung der Parteispitze an. Im Südwesten fragt man sich derweil, was nun aus dem populären Cem Özdemir wird.

Stuttgart - Bei den Grünen steht eine Erneuerung der Parteiführung an. Nachdem sich Simone Peter und Cem Özdemir zurückziehen, treten auf dem Parteitag Ende Januar die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock, der Kieler Umweltminister Robert Habeck sowie die niedersächsische Fraktionschefin Anja Piel für die beiden Spitzenposten an. In der Bundestagfraktion bleibt es dagegen voraussichtlich beim Führungsduo aus Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter.

Özdemir gab am Montag zu verstehen, dass ihm eine völlige Runderneuerung lieb gewesen wäre. Hatte er schon am Wochenende erklärt, dass er auf eine Kandidatur als Fraktionschef verzichtet, zog er am Montag die Grünen-Tradition der doppelt quotierten Spitzen in Zweifel. Dass dort immer eine Frau vertreten sein müsse, habe seine Berechtigung. Die zusätzliche Vorgabe, beide Flügel – also die Realos und die Parteilinke – abzubilden, sei manchmal aber „vielleicht ein bisschen zu viel des Guten.“ Es sei besser, „wenn man die Leute danach aussucht, von denen man glaubt, dass sie die Aufgabe am besten können.“

Diese Einschätzung teilen viele in der Partei. Schon seit Jahren fordern die Realos das Ende der Doppelquoten – und genau so lang scheitern sie damit. Deshalb gelten die Quoten auf der Bundesebene unverändert fort und sorgen dafür, dass Özdemir nun kein Spitzenamt mehr ausübt – auch wenn er im Beliebtheitsranking aller Politiker unter den ersten fünf landet.

Kretschmann: Özdemirs Entscheidung ist kein Abschied aus der Politik

Bei den Südwest-Grünen wird dies außerordentlich bedauert. Führende Vertreter brachten am Montag aber die Erwartung zum Ausruck, dass Özdemir auch ohne Amt eine tragende Rolle spielen werde. „Özdemir ist noch jung und brennt weiterhin für seine Themen, für die Politik“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Seine Entscheidung sei kein Abschied aus der Politik. Es sei eine Entscheidung, nicht für ein bestimmtes Amt zu kandidieren. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Kretschmann: „Es werden andere Aufgaben kommen. Die Berliner Bühne wird regelmäßig neu bespielt und einer wie Cem Özdemir ist immer prädestiniert für eine Hauptrolle.“ Auch Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz geht davon aus, dass Özdemir weiterhin eine herausragende Rolle spielen wird. Und Grünen-Landeschefin Sandra Detzer hofft, dass Özdemir „alle formellen und informellen Spielarten des politischen Betriebes nutzen“ wird, um weiter eine starke Stimme für grüne Politik zu sein. Dass dies funktioniert, so sagen viele, habe doch jahrelang der Partei-Linke Jürgen Trittin gezeigt.

Dennoch wird die Quoten- und Flügelfrage die Grünen umtreiben, wenn sie am 27. Januar das Parteivorsitzenden-Duo neu wählen. Mit Baerbock und Habeck treten zwei Vertreter der Realos an, wobei beide ausdrücklich betonen, dass sie keinen „Realo-Durchmarsch“ veranstalten, sondern ein Angebot an die ganze Partei machen wollten.

Parteilinke wollen an Flügelproporz festhalten

Diesem Ansatz jedoch misstrauen viele der Parteilinken. Das Argument, dass Habeck und Baerbock für eine Überwindung der Flügel stünden, sei ein Trick der Realos, sagt Antje Kapek, die Fraktionschefin im Berliner Landtag: „In Wahrheit geht es den Realos ausschließlich um eine Machtkonzentration auf ihren Flügel.“ Kapek unterstützt auch deshalb die Kandidatur Anja Piels, die eine Weggefährtin des Linken-Frontmanns Jürgen Trittin ist. Piel betont zwar, dass sie „die allermeisten unserer Mitglieder viel weniger für die Flügel interessieren als dafür, dass sie an der Entwicklung von Programmen und Schwerpunkten angemessen beteiligt werden“. Offene Debatten seien also nötig – doch die ersetze der „Abgesang auf die alten Flügel nicht.“

Die Grünen sind also schwer mit sich selbst beschäftigt – und zwar nicht nur, was die Vertretung der Flügel anbelangt. Zudem ist unklar, ob die Basis auf dem Parteitag in Hannover Habeck überhaupt zum Vorsitzenden wählen kann. Die Satzung verbietet es nämlich Ministern, zugleich Vorsitzender zu sein. Seine Kandidatur, sagt Habeck, sei „eine Bewerbung ins Ungewisse, von der ich streng genommen gar nicht weiß, ob ich sie abgeben darf.“

Habeck wäre es recht, wenn die Satzung entsprechend geändert würde. In jedem Fall aber bittet er seine Parteifreunde darum, für eine Übergangszeit Minister und Vorsitzender sein zu dürfen. Sonst müsste er am Tag nach einer Kür zum Chef das Kieler Regierungsamt abgeben: „Das ist für niemanden, der Verantwortung trägt, in der Realität möglich.“ Es geht also darum, ob die Partei einen alten Zopf abschneidet.

Das einschlägige Verbot der Satzung stammt aus dem Jahr 1980. Damals waren die Grünen noch gar nicht im Bundestag, und niemand dachte daran, dass sie jemals mitregieren würden. Dazu kam es erst, als 1985 in Hessen die erste rot-grüne Landesregierung entstand und Joschka Fischer Umweltminister in Wiesbaden wurde.