Jetzt nur keinen Fehler machen: alte Zeitungen werden auf dem Ökihof korrekt gestapelt, die Flaschen gehören in die richtige Box und das Kennzeichen muss stimmen. Foto: Wolfgang Holz

Man kann die Menschen auch heute noch in Sammler und Jäger aufteilen. Die Schweizer sind so gesehen eindeutig Sammler,das beweist ihr perfektes Entsorgungssystem für den „Güsel“.

Zug - Also, so können sie den Papierabfall hier nicht abgeben“, sagt der Mitarbeiter des Ökihofs in Unterägeri (Kanton Zug) zu dem deutschen Neuankömmling. Der ist erst einmal verblüfft. Denn normalerweise kann man ja Altpapier einfach in den entsprechenden Container kippen. Doch hier im nagelneuen Ökihof von Unterägeri gelten strengere Regeln als anderswo. „Sie müssen das Altpapier bündeln und mit einer Schnur zusammenbinden – so macht man das hier“, fordert der Mann in seinem signalorangen Overall den Ökihof-Besucher auf.

Er zeigt ihm auch, warum das so sein muss. Denn wenn das Papier gebündelt sei, passe eben auch mehr davon in den Entsorgungscontainer. Sagt’s und deutet auf den fein säuberlich gestapelten Altpapierberg, der in seiner Akkuratesse fast wie eine Kunstinstallation anmutet. Der zugezogene Deutsche, der einfach nur seinen Müll abgeben will, kann es immer noch nicht fassen. „Okay, dann kippen Sie dieses Mal das Papier halt so in den Container – der Chef ist gerade nicht da“, öffnet der Ökihof-Mitarbeiter unverhofft ein Türchen und lächelt freundlich. Schon ist die Welt an diesem Samstagmorgen wieder in Ordnung.

Wie im Bienenstock geht es um diese Tageszeit nicht nur in Unterägeri im Ökihof zu – der edleren Variante des deutschen Wertstoffhofs. Auto an Auto ist hier ordentlich geparkt, die Heckklappen sind geöffnet, und die Einwohner von Unterägeri oder anderswo im Kanton Zug entledigen sich ihres „Güsels“ – wie Müll auf Schwiizerdütsch heißt. Der Samstagmorgen im Ökihof verkörpert eine Art gesellschaftliches Ritual, bei dem man Bekannte trifft wie auf dem Marktplatz und bei dem ein bisschen „gepläuderlet“ wird. Seinen Müll auf den Ökihof zu bringen grenzt schon an eine Zeremonie der Selbstreinigung – was man an den vielen zufriedenen Gesichtern ablesen kann, welche die Recycling-Sammelstelle mit leeren Kartons, Taschen und Körben wieder verlassen.

Bis zu 30 verschiedene Abfallgüter können entsorgt werden

Was natürlich auch daran liegt, dass man auf einem Ökihof ziemlich viel los werden kann. Das meiste davon gratis. In den elf Abgabestellen der elf Zuger Gemeinden etwa kann man nämlich jeweils bis zu 30 verschiedene Abfallgüter entsorgen. Von der Kaffeekapsel über Brotrinden, Medikamente bis zum „Betriebskehricht“, vom Alt- und Speiseöl bis zu Reifen, Kleider sowie mancherorts sogar Wild- und Tierkadaver. Vom klassischen Recycling-Müll wie Papier, Alu, PET-Flaschen und neuerdings auch die weißen Plastik-Milchtüten ganz zu schweigen.

Natürlich stehen in Schweizer Ökihöfen auch ganz normale Altglas-Container für grünes, braunes und weißes Glas. Doch da kommen beispielsweise keine Weinflaschen rein. Diese werden von ihren Besitzern, die sie leer getrunken haben, sorgfältig in Metallkäfigen flach aufeinander gestapelt – als ob die Freunde von Chardonnay und Veltliner mit Ehrfurcht die schöne Erinnerung an den edlen Tropfen zu Grabe tragen wollten, den sie am Wochenende genossen haben. Auch Restmüll kann man bei den Ökihof-Arbeitern abgeben – für umgerechnet rund 50 Cent das Kilogramm. Dieser wird dann in einer hochmodernen, nur zwanzig Kilometer entfernten Verbrennungsanlage verheizt.

„Ich arbeite gerne draußen und mag den Umgang mit Leuten. Auf der Suche nach einem versehentlich entsorgten Sack bin ich auch schon mal in den einen oder andern Container gestiegen“, sagt Humbert Ghirlanda, Bereichsleiter des Ökihofs in Cham, der drittgrößten Gemeinde im Kanton Zug mit 15 000 Einwohnern. Seine Kollegen weisen auch stets die Autofahrer hilfsbereit in frei werdende Parklücken ein, wenn hier wie jetzt gerade am Samstagmorgen Hochbetrieb herrscht. Service pur.

Ökihöfe gehören zur Infrastruktur jeder Gemeinde dazu

In der Schweiz sind zwar in dem einen oder anderen städtischen Wohnquartier auch jene hässlichen Wertstoffcontainer anzutreffen, die in Deutschland fast an jeder Ecke stehen. Die vielen Ökihöfe in der Schweiz sorgen allerdings dafür, dass die Müllentsorgung nicht ganze Stadtteile verschandelt. Selbst an Einwohner, die kein Auto besitzen, ist gedacht worden. So mancher moderne Ökihof liegt mitten im Gemeindezentrum. Und in Cham etwa verkehrt in den Wohnquartieren regelmäßig ein „Öki-Bus“, der an fix eingerichteten Haltestellen nach genauem Fahrplan Station macht, damit man dort bequem den Müll abgeben kann. In Baar, einer 25 000-Einwohner-Gemeinde verkehrt sogar noch das „Rösslitram“, eine Pferdekutsche also, um den Wertstoff-Güsel aus den Wohnquartieren zum Ökihof zu bringen.

„Die Zuger Bevölkerung sammelt und trennt die tagtäglich anfallenden Wertstoffe vorbildlich“, lobt Paul Langenegger, Baarer Gemeinderat und Präsident der regionalen Entsorgungsgesellschaft ZEBA. 1989 wurde in Unterägeri mit der ersten Hauptsammelstelle die Ökihof-Ära im Kanton Zug eingeläutet. Ökihöfe seien, so Langenegger, für die Zuger Bevölkerung nicht mehr wegzudenken und gehörten wie Schulen und Straßen zur Infrastruktur jeder Gemeinde. „Im Durchschnitt produziert die Zuger Bevölkerung pro Kopf und Jahr eine Abfallmenge von rund 700 Kilogramm. Diese Menge entspricht auch dem schweizerischen Mittel und ist weltweit gesehen ein Spitzenwert“, sagt Langenegger. „Umso wichtiger ist es, dass wir auch im Recycling zur Spitze zählen.“

Und es wird immer mehr Abfall, der wöchentlich fleißig von den Schweizern gesammelt und dann auf die Ökihöfe gebracht wird. Grund: wegen der nicht nachlassenden Zuwanderung steigt die Zahl der Müllproduzenten in den Gemeinden – was an so manchem Samstagmorgen zu Staus auf den Ökihöfen führt. Auch Bürger aus benachbarten Kantonen versuchen deshalb nicht selten, ihren Müll woanders loszuwerden. Doch an Zuger Ökihöfen, die zum Teil aus allen Nähten platzen, prangt überall ein Schild: Nur Autos mit ZG-Kennzeichen für den Kanton Zug sind zugelassen. Die anderen müssen draußen bleiben. Autofahrer mit deutschen Kennzeichen, die noch kein Schweizer Nummernschild haben, werden dagegen toleriert.

Vor allem Ausländer sollen lernen, wie Mülltrennung funktioniert

Die Schweizer sind zu recht stolz auf ihre glänzenden, blitzblanken Ökihöfe. „Mir gefällt unser neuer Ökihof gut“, vertraut einem Jeannette Nussbaumer aus Unterägeri an diesem Samstagmorgen an. Alles sei gut angeschrieben, sauber und geordnet, und man sei jetzt viel schneller beim Entsorgen. Und die Mitarbeiter hier seien alle sehr nett. „Froh wäre ich manchmal nur, wenn es hier auch einen Aktenvernichter gäbe.“ Das hört sich nach Jammern auf hohem Niveau an. Denn nicht nur in den Ökihöfen entsorgen die meisten Eidgenossen ihren Abfall quasi perfekt und vorbildlich. Es gibt daneben auch noch turnusmäßige Abfall- und Sperrmüllsammlungen, die zum Beispiel von Jugendgruppen und Schülern organisiert werden.

Andererseits protestieren gerade auffallend viele Jugendliche gegen die reglementierte Welt der Erwachsenen, indem sie überall ihren Müll liegen lassen. Und wenn man ehrlich ist: Auch viele erwachsene Eidgenossen verhalten sich nur so diszipliniert in Sachen Abfallentsorgung, weil sie die saftigen Geldbußen scheuen. Wer etwa seine Bierdose wegwirft, muss umgerechnet rund 90 Euro bezahlen.

Trotzdem kann Müll entsorgen glücklich machen. Vor allem eben auf dem Ökihof. „Zug ist mein Lieblings-Ökihof. Wenn ich Zeit habe zeige ich den Ökihof all unseren Kunden“, sagt Diane Häuptli aus Cham. Sie kümmert sich um Ausländer, die in die Schweiz übersiedeln. „Wir informieren sie exakt bei der Schlüsselübergabe“, sagt sie. „Das ist sehr wichtig. Denn die Ausländer müssen lernen, wie das funktioniert.“