Protest vor dem Rathaus in San Francisco: Ein Gegner des Nacktverbots zieht blank. Foto: dpa

Sogar die Hippie-Hochburg San Francisco geht nun rechtlich gegen Nackedeis vor. Mit knapper Mehrheit stimmte der Stadtrat am Dienstag einem Entwurf zu, wonach entblößte Genitalien auf Straßen, Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln künftig tabu sind.

San Francisco - In Amerikas liberaler Hochburg wird es bald zugeknöpfter zugehen. Ausgerechnet in San Francisco, wo die Hippies den „Summer of Love“ feierten und die Schwulenbewegung in Gang kam, soll Nacktheit per Gesetz verboten werden. Mit knapper Mehrheit stimmte der Stadtrat am Dienstag einem Entwurf zu, wonach entblößte Genitalien auf Straßen, Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln künftig tabu sind. Einige Nudisten kamen gleich zur Sache: Mitten in der Sitzung ließen sie die Hüllen fallen. Beamte verteilten Handtücher. Ein nacktes Durcheinander, wie man es selbst in San Francisco nicht alle Tage sieht.

Es seien einfach zu viele Nackedeis auf der Straße, sagte der schwule Stadtverordnete Scott Wiener. Viele Anwohner in dem Castro-Bezirk, der Schwulenhochburg San Franciscos, hätten sich beschwert. Fast täglich würden Nudisten ihre Genitalien zur Schau stellen. „Die öffentliche Nacktheit geht einfach zu weit“, erklärte Wiener und überzeugte damit genügend Kollegen im Stadtrat.

Die Verordnung soll im Februar 2013 in Kraft treten. 100 Dollar Strafe (etwa 78 Euro) sollen bei einem ersten Verstoß fällig werden. Tritt man danach erneut öffentlich nackt in Erscheinung, kann dies mit bis zu 500 Dollar (390 Euro) und einem Jahr Freiheitsentzug bestraft werden.

Stuttgarts Nackter ist auf Partys und Kulturveranstaltungen anzutreffen und wird Big Tom genannt

Dutzende Nudisten haben bereits gegen das Verbot protestiert – natürlich ohne Kleidung. Nach einer hüllenlosen Demonstration vor dem Rathaus im Oktober reichte eine Gruppe vorige Woche vorsorglich Klage ein. „Nacktheit fällt unter das Recht auf freie Meinungsäußerung“, sagte die Anwältin Christina DiEdoardo. Das habe nichts mit „unsittlicher Entblößung“ zu tun. „Statt Nudisten zu vertreiben, soll die Polizei lieber gegen die Raucher auf der Straße vorgehen“, findet ein 49-Jähriger im Castro-Viertel. „Leute sterben nicht an Nacktheit, aber durch Passivrauch“, sagt er.

Auch in Deutschland begegnet man hier und da gelegentlich Menschen, die der Welt freizügig präsentieren, wie Gott sie schuf. Stuttgarts Nackter ist auf Partys und Kulturveranstaltungen anzutreffen und wird Big Tom genannt. Meist trägt der in den 50er Jahren geborene Spät-Hippie (sein genaues Geburtsdatum ist sein Geheimnis) eine rote Jogginghose – die dann plötzlich fehlt. Seine Kette mit Stachelschweinborsten legt er dagegen selten ab. Mit seiner Nacktheit wolle er nicht provozieren, stellt er klar. Wenn es ihm heiß wird, zieht sich Big Tom halt einfach aus und wird damit zur Kunstfigur. Bisher habe sich keiner daran gestört. In letzter Zeit ist der ergraute Stadtindianer gesundheitsbedingt allerdings nicht mehr so häufig im Nackteinsatz.

In Freiburg ist man nicht so tolerant: Ein als Nacktjogger bekannter Sexualtherapeut landete dort mehrmals vor Gericht. 2004 musste er für seine Freizügigkeit 600 Euro Strafe zahlen, 2008 wurde ihm auferlegt, in Zukunft beim Laufen zumindest einen Lendenschurz zu tragen. Von der Polizei wurde auch der nackte Jörg in Frankfurt ab und zu aufgegriffen. Allerdings ohne ernsthafte Folgen. Und seit 2003 hat der Nudist sogar eine Genehmigung des Polizeipräsidenten, die ihm erlaubt, unbekleidet durch die Stadt zu laufen. Nach eigenen Angaben leidet er an einer Kleidungsallergie.

Im Winter trägt der nackte Jörg aus Frankfurt Sandalen

Seit rund 20 Jahren ist Jörg in der Mainmetropole unterwegs – angeblich trägt er heute Tennissocken. Wobei, ganz nackt war er eh nur selten: Im Winter trägt Jörg Sandalen und seinen Walkman hat er auch immer dabei – an einem Gürtel befestigt, den der Mann sich um den nackten Bauch schnallt. Eine Idee, wie man Touristen den nackten Mann erklären könnte, hat Kabarettist Tilman Birr. „Dieser Mann ist der Bürgermeister“, solle man sagen. Dass er nackt sei, sei in Frankfurt Tradition. Er zeige damit Verbundenheit mit dem niederen Volk, das im Mittelalter so arm war, dass es sich nicht einmal die nötige Kleidung leisten konnte.

Und auch in San Francisco gibt es eine simple Erklärung für die Nackten. Findet zumindest Castro-Anwohner Bill Eadie (70): „Wer hierherkommt, der weiß, auf was er sich einlässt. Das ist wie beim Zoo-Besuch, wo man Tiere sieht. Wir sind ein Schwulenviertel, da laufen schon mal Nackte rum.“