Er war ein Idol, ein Held des Volkes – heute nehmen Brasiliens Fußball-Fans „König Pelé“ nur noch als entrückten Werbeträger wahr. Geld geht ihm über gesellschaftspolitische Verantwortung.
Rio de Janeiro - Die Worte trafen die große Ikone des brasilianischen Fußballs wie ein Keulenschlag: „Pelé – Verräter“ stand auf den Plakaten der Protestbewegung, die vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 durch Brasilien schwappte. Ausgerechnet Pelé, der an diesem Freitag 75 Jahre alt wird! Ausgerechnet der wohl berühmteste Sohn des brasilianischen Fußballs, der Urvater einer Nation, die in der Blüte der „Schwarzen Perle“ zur Großmacht des wohl populärsten Sports dieses Planeten aufstieg. Doch die Liebe zum Übervater ist abgekühlt. Pelé ist zu einem Symbol jenes Fußballs geworden, der die Menschen eher befremdet. Eine industrielle Maschine ohne Herz, getrieben von TV-Verträgen und Korruptionsskandalen.
Als Edson Arantes do Nascimento, wie der am 23. Oktober 1940 in Três Corações im Bundesstaat Minas Gerais geborene Pelé mit richtigem Namen heißt, vor einigen ins Krankenhaus kam und die Ärzte sich wegen seines Gesundheitszustandes ernste Sorgen machten, da nahm die brasilianische Öffentlichkeit zwar interessiert, aber auch seltsam distanziert davon Notiz. Keine Kerzen vor dem Hospital wie nach dem Ski-Unfall vom ehemaligen Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher oder beim Kampf zwischen Leben und Tod des kokssüchtigen Diego Maradona in Buenos Aires vor ein paar Jahren. Brasilien bangte, aber es behielt die Fassung.
Pelé war ein Superstar wie Messi oder Ronaldo - aber erfolgreicher
Pelé ist längst in andere Sphären enteilt. Er ist nicht mehr der bodenständige Clubfußballer, der seinem Heimatverein, dem FC Santos aus der Hafenstadt nahe São Paulo, fast 20 Jahre lang die Treue hielt, ehe er beim Operettenklub Cosmos New York seine Karriere ausklingen ließ. Er ist nicht mehr der wohl beste Fußballer der Geschichte, der Brasilien zu drei Weltmeisterschaften führte und damit den Grundstein dafür legte, dass das Riesenreich aus Südamerika für immer zu einem Global Player wurde.
Pelé war damals das, was Lionel Messi und Cristiano Ronaldo heute sind – nur erfolgreicher. Es waren die goldenen 1950er und 60er Jahre, als sie „König Pelé“ auf Händen trugen. Doch schon damals gehörten die Herzen der Brasilianer einem anderen: Mané Garrincha, seinem kongenialen Partner auf dem Feld, dessen Leben eine tragische Wende nahm, weil er mit all dem Ruhm und der Prominenz nie zurecht kam. Pelé war schon damals einfach eine Spur perfekter.
Heute reden die Menschen in den Bars und Kneipen in Rio de Janeiro und São Paulo mit funkelnden Augen über den viel zu früh verstorbenen Garrincha, für Pelé aber verspüren sie eine seltsame Mischung aus Respekt und Bewunderung, aber auch kühler Distanz. Das liegt vor allem daran, dass „König Pelé“ nur noch ein Werbeträger ist, der sich kaum noch für gesellschaftspolitische Prozesse einsetzt.
Pelé ist kein Menschenrechtsaktivist, kein Kämpfer gegen die soziale Ungerechtigkeit, kein Mann des Volkes, der sich für die Gleichberechtigung der immer noch unterdrückten schwarzen Bevölkerung einsetzt. Es sei denn, eine Großbank bezahlt ihn fürstlich für einen Spot wie bei der Copa America in Chile, als Pelé mal wieder in einer Favela auftaucht. Ein Muhammad Ali, der auch mal seine Karriere riskierte, um sich gegen die weißen Eliten aufzulehnen, das ist Pelé nie gewesen. Als Brasilien seine Mächtigen wegen der ausufernden Kosten zur WM im eigenen Land attackierte, da stand Pelé auf der anderen Seite. Er kritisierte nicht, er kassierte.
Interviews lässt sich Pelé teuer honorieren
Heute nimmt ihn die brasilianische Öffentlichkeit vor allem als einen Gewinner der Großevents WM und Olympia wahr. Interviews lässt sich Pelé teuer honorieren, auf rund 100 Millionen Euro schätzen Experten seine Werbeeinnahmen im Vorfeld von WM 2014 und Olympia. Das trübte seinen Blick für die wahren Probleme des Landes, das in eine handfeste politische und wirtschaftliche Krise geschlittert ist. Pelé enthält sich in diesen schwierigen Momenten stets einer klaren Meinung.
Auch deshalb lieben ihn die Menschen unter dem Zuckerhut nicht so uneingeschränkt wie den verunglückten Formel-1-Weltmeister Ayrton Senna oder Spielmacher-Legende Socrates, der zwar nie Weltmeister wurde, aber auf dem Spielfeld seine Abneigung gegenüber der Militärdiktatur zeigte, ehe er seiner Alkoholsucht zum Opfer fiel. Pelé war und ist bis heute dagegen nahezu perfekt. Er liefert seine Show wie ein Entertainer ab, wenn Luxusuhren-Hersteller an der Copacabana ins Vip-Zelt einladen. In seiner eigenen Welt.