Leider funktioniert die Hebetechnik am Bahnsteig beileibe nicht so störungsfrei wie erhofft. Rollstuhlfahrer kommen dann nicht am Gleis an. Foto: dpa

Eine Rollstuhlfahrerin aus Ludwigsburg reagiert mit Strafanzeige auf Panne an Liftanlage zum Bahngleis.

Stuttgart - Für Mütter mit dem Kinderwagen oder Einkäufer mit vollen Tragetaschen ist ein defekter Aufzug im Bahnhof zumindest ein Ärgernis. Für einen Rollstuhlfahrer aber sind außer Betrieb gesetzte Liftanlagen ein echtes Problem – vor allem, wenn bei der Bahn auch auf telefonische Bitte keine schnelle Hilfe zu erhalten ist.

Per Knopfdruck von der Unterführung auf den Bahnsteig – in der Theorie sind die meisten S-Bahn-Stationen in der Region Stuttgart inzwischen barrierefrei ausgebaut. Wo aus Platzgründen keine Rampe für Rollstuhlfahrer möglich ist, steht für den bequemen Weg zum Bahnsteig in der Regel eine Liftanlage zur Verfügung. Mit Millionensummen hat sich die Bahn in den vergangenen Jahren um den behinderten-gerechten Ausbau im Nahverkehr bemüht, zuletzt wurden in Waiblingen, Schwaikheim und Backnang moderne Aufzüge in Betrieb genommen. Bis 2014 sollen noch weitere fünf S-Bahn-Stationen in der Region folgen.

Das Problem: Leider funktioniert die Hebetechnik am Bahnsteig beileibe nicht so störungsfrei wie erhofft. Im Dauerbetrieb gibt mancher Aufzug vorzeitig den Geist auf, immer wieder legen auch Vandalismusattacken die sündhaft teuren Liftanlagen lahm. Und: Nicht immer kümmert sich die Bahn auch unverzüglich um die Reparatur defekter Aufzüge – bis der mit der Wartung beauftragte Störungsdienst endlich zur Tat schreitet, klebt mitunter Tage oder Wochen ein „Außer Betrieb“-Schild auf der Glastür.

Hat Beschwerde auch strafrechtliche Relevanz?

Brigitte Seiferheld kann ein Lied davon singen, wie oft Transportschwierigkeiten die persönliche Planung durcheinanderwirbeln können. Die 63-Jährige aus Ludwigsburg ist seit einem Verkehrsunfall vor 47 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen – und braucht zwingend einen Aufzug, um im Ludwigsburger Bahnhof eigenständig in den Zug zu kommen. Weil das zum wiederholten Mal nicht klappt, hat die streitbare Dame jetzt eine Strafanzeige gestellt. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft muss jetzt prüfen, ob die Beschwerde nur peinlich für die Bahn ist oder auch strafrechtliche Relevanz hat – etwa wegen unterlassener Hilfeleistung.

Auslöser war ein Bummel von Brigitte Seiferheld und ihrem Mann über die Slow-Food-Messe auf den Fildern. Bei der Anreise hatte es mit der Barrierefreiheit im Nahverkehr noch reibungslos geklappt: Mit dem Niederflurbus ging’s vom Wohngebiet auf der Hartenecker Höhe an den Bahnhof, per Lift durch die Unterführung und hoch aufs Bahngleis. Bei der Rückfahrt allerdings war der morgens noch intakte Aufzug am Bahnhof plötzlich außer Betrieb – das Ehepaar saß unverhofft auf dem Bahnsteig fest.

Hilfsaktion erst am nächsten Morgen möglich

Nun ist Brigitte Seiferheld niemand, der sich nicht zu helfen wüsste. Beim Roten Kreuz leitet sie die Wohnberatung für alte und behinderte Menschen, mit dem Stadtseniorenrat hat sie für Ludwigsburg schon einen barrierefreien Stadtplan erarbeitet. Das Ehepaar ruft um 21.45 Uhr per Handy kurzerhand die Notfallnummer der Bahn an, die an der Tür des defekten Lifts klebt. Über die Auskunft der Service-Dame ärgern sich die Ludwigsburger fast noch mehr als über die technische Panne. Denn die freundliche Mitarbeiterin bietet zwar an, ein Einsatzteam in die Barockstadt zu beordern. Möglich sei die Hilfsaktion freilich erst am nächsten Morgen um 7 Uhr – aktuell stehe leider keine Bereitschaft zur Verfügung.

„Auf meine empörte Rückfrage, ob meine Frau auf dem Bahnsteig übernachten soll, wusste sie keine Antwort“, schildert Frieder Seiferheld das Erlebnis. Statt weiter auf die Bahn zu hoffen, ruft er die Polizei an – mit der Hilfe von Feuerwehr und dem Arbeiter-Samariter-Bund gelingt es, die 63-Jährige samt Rollstuhl über die Treppen zu wuchten.

Auch das Rathaus kritisiert die Bahn

Die Bahn will den Vorfall nun zum Anlass nehmen, ihre interne Kommunikation zu überdenken. „Wir bedauern das sehr, das hätte so nicht passieren dürfen“, erklärte eine Konzernsprecherin. Fraglich ist etwa, weshalb den Seiferhelds nicht empfohlen wurde, ersatzweise einen anderen S-Bahn-Halt anzufahren und mit dem Taxi nach Ludwigsburg weiterzureisen.

Kritik an der Bahn kommt unterdessen auch aus dem Rathaus – der Ludwigsburger Baubürgermeister Hans Schmid hat das Störungsmanagement des Verkehrsbetriebs ungewohnt scharf angegriffen. Schließlich seien die Aufzüge am täglich von etwa 50.000 Fahrgästen genutzten Bahnhof nicht zum ersten Mal durch Störungen lahmgelegt.

Ludwigsburg ist freilich nicht der einzige Haltepunkt, an dem Lifte ihren Dienst versagen. Die ebenfalls auf einen Rollstuhl angewiesene Angelika Bochnig aus Winnenden hat erst jüngst in einem Leserbrief auf eine Odyssee durch Stuttgart aufmerksam gemacht – nach einem Termin am Rotebühlplatz musste sie über die Königstraße bis zum Hauptbahnhof rollen, um zur S-Bahn in den Rems-Murr-Kreis zu gelangen. „Wie wird das nur bei Stuttgart 21, wenn es nur noch Aufzüge gibt?“, fragt sie konsterniert.