Nicht nur Außenminister Westerwelle kommt in den US-Depeschen angeblich nicht gut weg.

Washington - Weltweit haben sich Regierungen am Wochenende auf eine Veröffentlichung hunderttausender vertraulicher und teils geheimer Berichte des US-Außenministeriums auf der Internet-Plattform Wikileaks vorbereitet.

In einer diplomatischen Großoffensive informierte US-Außenministerin Hillary Clinton zahlreiche Staaten über die möglichen Enthüllungen, darunter auch Deutschland. Sprecher Philip Crowley äußerte die Befürchtung, der außenpolitische Schaden des Geheimnisverrats könne für die USA beträchtlich werden.

Westerwelle jemand, der "seinen Job noch lernen müsse"

Laut „Bild am Sonntag“ kommt Außenminister Guido Westerwelle (FDP) dabei in der Einschätzung der US-Diplomaten vergleichsweise schlecht weg. Demnach habe man den Vizekanzler zu Beginn der schwarz-gelben Koalition voriges Jahr als jemanden gesehen, „der seinen Job noch lernen müsse“.

Das US-Außenministerium versuchte noch am Samstag mit einem Brief an Wikileaks-Gründer Julian Assange eine Veröffentlichung zu verhindern. Die geplante Offenlegung der Berichte amerikanischer Botschaften „gefährdet das Leben zahlloser Personen“, heißt es in dem Schreiben. Auf dem Spiel stünde die Sicherheit von Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Blogger, Soldaten und Informanten.

Seite 2: 250.000 US-Depeschen könnten öffentlich gemacht werden

Einen Tag vor der für Sonntagabend erwarteten Publikation kursierten im Internet bereits Details zu den Inhalten. Demnach werden rund 250.000 diplomatische Depeschen im Netz zugänglich gemacht, die US-Vertretungen in aller Welt an das Außenministerium in Washington geschickt haben. Dazu kämen rund 8000 Direktiven der Zentrale in Washington an die Außenposten. Die Berichte berufen sich auf einen Artikel, der kurzzeitig bei Spiegel Online abrufbar gewesen sein soll, aber anscheinend schnell von der Website entfernt wurde.

Mehrere Quellen im Web verlinken auf mutmaßliche Kopien des Artikels von Spiegel Online. Dort wird erklärt, dass fast alle Dokumente aus der Zeit nach 2004 stammten, nur eines reiche ins Jahr 1966 zurück. Die aktuellsten Papiere, mehr als 9000, seien in den ersten beiden Monaten dieses Jahres verfasst worden.

Nur rund 15.000 der Dokumente seien tatsächlich als „geheim“ eingestuft, also mit der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe versehen worden, hieß es weiter. Etwa 4300 Depeschen seien sogar so vertraulich, dass sie Ausländern nicht zugänglich gemacht werden dürften. Keines der Papiere, die Wikileaks zugespielt worden seien, unterliege der höchsten Kategorie „streng geheim“.

Der britische „Sunday Telegraph“ berichtete indes, der US-Diplomatie stehe eine ganze Woche der Enthüllungen bevor. Die Berichte würden ab Sonntagnacht nach thematischen Schwerpunkten geordnet veröffentlicht, meldete die Zeitung am Sonntag unter Berufung auf britische Regierungskreise.

Wenig schmeichelhafte Einschätzungen von Mandela bis Mugabe

Laut „Sunday Telegraph“ werden nach ersten Vorabveröffentlichungen wenig schmeichelhafte Einschätzungen über Politiker befürchtet - unter anderem über den früheren südafrikanischen Staatspräsidenten Nelson Mandela, den simbabwischen Machthaber Robert Mugabe, Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai und den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi.

Am Dienstag sollen der Zeitung zufolge Berichte zu Nord- und Südkorea und über das umstrittene US-Gefangenenlager Guantánamo folgen, am Mittwoch über Pakistan und Anti-Piraterie-Einsätze vor Somalia. Am Donnerstag werden demnach Dokumente zum Verhältnis zwischen USA und Kanada, am Freitag Berichte über die Korruption in Afghanistan veröffentlicht. Am Samstag soll Jemen, am Sonntag China auf dem Enthüllungsprogramm von Wikileaks stehen.

Neben dem Magazin „Der Spiegel“ waren die US-Zeitung „New York Times“ und der britische „Guardian“ vorab mit Dokumenten versorgt worden, wie in vergangenen Monaten, als die Veröffentlichung von US-Geheimdokumenten zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak international Aufsehen verursachte. Dieses Mal hätten auch die spanische „El Pais“ und die französische „Le Monde“ das Material gesichtet.

Zu den Depeschen hieß es weiter, dass US-Diplomaten aus aller Welt in ihnen Politiker und deren Motive bloßstellten oder Psychogramme zeichneten. Es handele sich auch um Einschätzungen der Lage in den Gastgeberländern der Botschafter oder um Protokolle von Gesprächen. Vieles sei in dem Glauben verfasst und übermittelt worden, dass die Telegramme 25 Jahre lang unter Verschluss bleiben würden. Die verwendete Sprache sei oft sehr direkt, auch Klatsch und Berichte vom Hörensagen würden an das Hauptquartier gemeldet.

Die Wikileaks-Macher sprachen in ihrer Ankündigung der Publikation von der siebenfachen Menge an Dokumenten, die sie im Oktober veröffentlich hatten. Damals stellten sie rund 400 000 Seiten mit geheimen Logbucheinträgen aus den USA zum Irak-Krieg auf die Seite. Die Daten stammen nach dem mutmaßlichen Artikel von Spiegel Online aus einem geheimen Nachrichtennetz der US-Regierung, das rund 2,5 Millionen US-Vertretern zur Verfügung stehe.