70er Jahre: Tänzerinnen warten in der Garderobe auf ihren Auftritt. Foto: Gerhard Goller

Vor 30 Jahren fiel nach höchstrichterlichem Urteil die letzte Klappe für die Peepshows. Erinnerungen an einen hitzigen Streit um Würde und Moral.

Stuttgart - Moderne Technik eröffnet viele Wege, männliches Verlangen zu befriedigen. Ende der 1970er Jahre waren Automaten mit Klappen der Renner. Für die Betreiber kamen sie einer Gelddruckmaschine gleich. Im Stuttgarter Rathaus gingen in dieser Zeit etwa 40 Anträge pro Jahr auf Genehmigung einer Peepshow ein – die Beamten ließen aber nur zwei Stripläden dieser Art gewähren. Die Frauenbewegung lief Sturm, und Männer bewegten sich in Massen zu Sehschlitzen, die sich in kleinen, ungemütlichen Kabinen befanden. „Bevor wir die Boa besuchten, sind wir da alle rein“, berichtet Lars auf der Facebook-Seite Stuttgart- Album, „wir gingen zu viert in eine Kabine und flogen raus.“ Die Boa, den Dino unter den Discos, gibt es immer noch. Peepshows mit Live-Darbietung sind ausgestorben.

„Wichsotheken“ nannte man die 1976 aus den USA exportierten Strip-Kästen. Heutzutage bedient das Internet geheime Wünsche so ergiebig, dass keiner mehr für jenes „Minutenglück“ aus dem Haus muss, von dem die Spider Murphy Gang sang.

Sobald jemand eine Mark in abschließbaren Kabinen einwarf, öffnete sich der Guckkasten für eine Minute. Man blickte auf eine Drehscheibe, auf der sich nackte Tänzerinnen, oft Ex-Sekretärinnen, Hausfrauen und Rechtsanwaltsgehilfinnen, rekelten. Streng verboten war es, mit einer Frau in die Kabine zu gehen. Günther A. hatte es trotzdem geschafft, eine Freundin einzuschleusen, wie er im Stuttgart-Album berichtet: „Sie entdeckte ein Markstück am Boden und wollte es aufheben. Glücklicherweise konnte ich sie noch rechtzeitig davon abbringen.“ Sie hatte sich zuvor über Flecken an der Glasscheibe gewundert. Doch die stammten von Nasen, die man darauf platt gedrückt hatte.

Die Würde der Frau war in Gefahr

Füttern verboten? Was vom Zoo hatten die Peepshows, nur dass die Begafften die Gaffenden nicht sehen konnten. Stripperinnen, die dort arbeiteten, sagten, das störe sie nicht. Andere sahen die Würde der Frau in Gefahr und zogen vor Gericht. 1982 befand das Bundesverwaltungsgericht in Berlin, dass die „Zurschaustellung nackter weiblicher Körper in dieser Form“ gegen die „guten Sitten“ verstoße. Zuvor hatten mehrere Instanzen nichts Verbotenes an Voyeur-Kabinen erkennen können. Die Frauen präsentierten sich ja freiwillig. Stuttgart widersetzte sich den Verboten länger als andere Großstädte. Der „Spiegel“ meinte, den Grund zu kennen: „Bei den Schwaben kämpfen die Fremdenwerber gegen den Ruf an, in der Stadt gebe es überhaupt kein Nachtleben.“ Zunächst müsse die Rechtslage geprüft werden, erklärte damals Gerhard Goller vom Amt für öffentliche Ordnung. Man setzte auf eine friedliche Einigung, um einen teuren Gerichtsstreit zu vermeiden. Die beiden Peepshows durften bis Ende des Pachtvertrags im Jahr 1983 weitermachen und erklärten sich im Gegenzug dazu bereit, nicht auf Fortbetrieb zu klagen.

Das Frauenforum überreichte Goller den „Spanner-Orden“ und wurde von ihm mit Hefekranz empfangen. Von Amts wegen besuchte Goller Peepshows – von ihm stammen die Fotos auf dieser Seite. Was er dort sah, fand er „aphrodisierend wie kalte Wassergüsse oder geistliche Gesänge“. Dennoch muss der Anblick der Frauen Wunder vollbracht haben. Unter den Gegenständen, die in den Kabinen vergessen wurden, waren Krücken. Wer konnte wieder gehen?

Heute versorgt das Internet mit Pornografie

„Unser Protest war richtig“, sagt über drei Jahrzehnte später eine der Kämpferinnen gegen die Peepshows. Leider seien Porno-Videofilm-Läden heute noch immer erlaubt. Es gehe um die Würde der Frau. Gerhard Goller sah auch die Würde der Männer in Gefahr. Die gingen in Kabinen mit dem Charme eines Bahnhofspissoirs, um dort, eingeschlossen wie ein Batteriehuhn, „ein symbolisches Eierlegen zu vollziehen“.

Triebabfuhr in den 1970ern. Im Vergleich zu dem, was heute beim Surfen im Internet möglich ist, sind die alten Peep-Buden mit den großen Klappen nur eine bizarre Fußnote in der menschlichen Sexualkunde.