Wohl dem, der nach einem Sturz vom Rad einen kundigen Helfer findet. Herbert Kunz hatte dieses Glück im Unglück. Foto: 7aktuell/Archiv

Ein Autofahrer reagierte schnell, als er einen 78-Jährigen vom Pedelec stürzen sah. Der Senior hatte einen Schlaganfall erlitten. Er ist langsam auf dem Wege der Besserung – und auf der Suche nach dem Mann, der ihm half.

Vaihingen/Enz - Wenn es ein paar Sekunden früher passiert wäre – wer weiß, ob Herbert Kunz heute wieder sprechen, erste unsichere Schritte gehen und feste Nahrung zu sich nehmen könnte. Sein Unfall mit seinem Pedelec hätte ihn an den Rollstuhl fesseln, ihn gar das Leben kosten können. Dass es nicht so kam, verdankt der 78-Jährige einem Unbekannten. „Er war mein Lebensretter“, ist der Senior überzeugt. Und er hat kaum einen sehnlicheren Wunsch, als diesen Lebensretter, dessen Namen er nicht kennt, zu finden und ihm persönlich zu danken. „Das war eine außergewöhnliche Rettungstat.“

Als es Kunz – der anders heißt, aber wegen seiner gesundheitlichen Verfassung nicht namentlich in der Zeitung genannt werden möchte – am Nachmittag des 6. März bei einer Ausfahrt mit dem Pedelec schwarz vor Augen wurde, hatte er Glück im Unglück: Er hatte gerade einen leichten Anstieg hinter sich gebracht und befand sich auf ebener Strecke, auf dem Radweg parallel zur B 10 auf der Enzbrücke, an der Kreuzung zwischen Rosswag, Vaihingen an der Enz und Seemühle. „Ich bin direkt auf eine Leitplanke gestürzt, erinnert sich der Vaihinger. „Wenn es mir ein bisschen früher am Hang passiert wäre, hätte es womöglich kein Mensch bemerkt. Zu dieser Jahreszeit war auf dem Weg kaum jemand unterwegs.“

Beherzter Einsatz

Und er hatte ein zweites Mal Glück im Unglück: Ein Autofahrer sah den Radler vom Pedelec fallen, hielt am Straßenrand an, kletterte über die Planke, eilte zu dem Gestürzten und alarmierte den Rettungsdienst. An das Weitere erinnert sich der Senior nur noch vage, doch eines ist ihm klar: „Der Mann kannte sich aus. Er hat gleich richtig reagiert.“ So habe ihn der Unbekannte, den er auf zwischen 40 und 50 Jahre schätzt, eine Faust machen lassen und ihn gefragt, ob er seinen Fuß anheben könne. Weil beides auf der linken Körperhälfte nicht funktionierte, folgerte der Helfer, und dieser Satz ist Herbert Kunz noch präsent: „Wahrscheinlich ist es ein Schlaganfall.“ Eine Diagnose, die sich bestätigte: Ein Blutgerinnsel in einer Hirnarterie hatte den Zusammenbruch ausgelöst.

Noch im Krankenwagen bekam der Vaihinger eine sogenannte Lysebehandlung. Das ist eine Infusion mit dem Enzym Alteplase, das Blutgerinnsel auflösen kann. Nach Auskunft der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, die eine Untersuchung zur Wirksamkeit dieser Therapie in Auftrag gab, kann eine schnelle Lysebehandlung neurologische Ausfälle lindern oder gar den Tod verhindern. Kunz geht davon aus, dass die Lyse entscheidend dafür war, dass es für ihn wieder bergauf geht. Wenn auch in überschaubaren Etappen.

Genesung in Mini-Etappen

Der Senior, der zeitlebens begeisterter Skifahrer war und mehrmals wöchentlich Radtouren in Eigenregie und mit einer Gruppe unternahm – nach zwei Operationen war er aufs Pedelec umgestiegen, „weil das Herz nicht mehr die volle Leistung erbracht hat“ – muss nun in Mini-Etappen lernen, die Kontrolle über seinen Körper zurückzuerlangen und sich über kleine Genesungs-Fortschritte zu freuen. Etwa darüber, dass er den zunächst von der Achsel bis in die Fingerspitzen gefühllosen linken Arm wieder heben, sogar ein Papiertaschentuch zerknüllen kann. Darüber, dass er nach wochenlanger Pürierkost in Klinik und Reha langsam wieder kauen und schlucken kann. Darüber, dass er sich zu artikulieren vermag, denn auch sein Sprachzentrum ist in Mitleidenschaft gezogen. Mit Hilfe des Rollators eroberte er sich sukzessive auch das Gehen zurück, ist aber noch „ziemlich wackelig auf den Beinen“.

Seine Hoffnung richtet der Vaihinger nun darauf, irgendwann wieder mit seinen Radlerkollegen in die Pedale treten zu können. Ebenso groß ist seine Hoffnung, den Helfer vom März ausfindig zu machen, was ihm bisher weder mit Anzeigen noch über Zeitungsaufrufe gelungen ist, auch nicht per Nachfrage beim Rettungsdienst. Der berufe sich auf den Datenschutz und gebe keine Auskunft, sagt er. Für Kunz gibt es keinen Zweifel: Ohne die beherzte, umgehende und kundige Reaktion des unbekannten Autofahrers in einer Situation, in der jede Minute zählte, wäre er nun nicht auf dem Weg der Besserung, sondern möglicherweise nicht mehr am Leben.

Tag gegen den Schlaganfall

Gefahr Ein Schlaganfall ist ein unvermittelt einsetzender Ausfall bestimmter Gehirnfunktionen. Häufigste Ursache ist eine Mangeldurchblutung. Fast 270 000 Menschen trifft es jährlich in Deutschland. Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache im Land.

Reaktion Die ersten Stunden nach einem Schlaganfall entscheiden über das Ausmaß der Zellschäden im Gehirn und über die Folgeschäden. Im Ernstfall sollte man sofort den Notruf 112 wählen und der Rettungsleitstelle „Verdacht auf Schlaganfall“ melden.

Aufmerksamkeit Am 10. Mai 2018 ist Tag gegen den Schlaganfall. Er soll die Aufmerksamkeit auf Risikofaktoren, Symptome und schnelles Handeln lenken.