Wenn die Nieren versagen und kein Organspender in Sicht ist, müssen Maschinen die Blutreinigung übernehmen. Foto: Robert-Bosch-Krankenhaus

Patienten mit Nierenversagen sind auf Dialyse angewiesen. Manche müssen jahrzehntelang dreimal wöchentlich zur Blutwäsche. Jetzt kommt auf sie eine neue Belastung zu. Weil die Kostenpauschale für die Dialyse reduziert wird, fürchten viele Kranke, dass die Qualität der lebensrettenden Behandlung leidet.

Stuttgart - Hermann Silcher aus Bietigheim-Bissingen ist einer von etwa 70 000 Dialysepatienten in Deutschland. Der 77-Jährige kann nur überleben, weil er dreimal pro Woche jeweils vier Stunden lang an eine Maschine angeschlossen wird. Ohne diese Blutreinigung wäre er in wenigen Tagen tot. Jetzt treibt Silcher eine existenzielle Sorge um. „In Deutschland muss man von jetzt an wohl Angst haben, als Nierenkranker im Stich gelassen zu werden“, schreiben Silcher und vier Leidensgenossen und wenden sich mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit.

Auslöser ist der Beschluss des gemeinsamen Bewertungsausschusses von Ärzten und Krankenkassen vom 19. März, bundesweit die Wochenpauschale für Dialyse zu senken. Bisher wurde die Blutreinigung pro Patient und Woche durchschnittlich mit 520 Euro vergütet. Zum 1. Juli sinkt dieser Betrag um 5,7 Prozent, sprich um knapp 30 Euro. Zudem soll größeren Dialysezentren ab dem 50. Patienten die Vergütung zusätzlich auf 466 Euro gekürzt werden. Ab dem 150. Patienten sind es nur noch 398 Euro. Das bedeutet, dass pro Jahr 100 Millionen Euro in der Dialyseversorgung wegfallen. Zum 1. Oktober 2015 ist eine weitere Absenkung um 100 Millionen Euro geplant.

Ein Sturm der Entrüstung ist die Folge dieses Sparprogramms, mit dem sich nun auch der Petitionsausschuss des Bundestags befassen wird. Binnen vier Wochen ist die von Patienten initiierte Petition von über 65 000 Menschen unterzeichnet worden.

„Letztlich geht eine solche Einsparung immer zulasten der betroffenen Patienten“, schreiben Silcher und seine Mitstreiter. „Auf uns Betroffene wirkt eine solche Sparmaßnahme unverständlich, gar inhuman.“

„Es haben schon Leute gekündigt“

Auch in den bundesweit etwa 660 Dialysepraxen ist die geplante Kürzung der Vergütung seit Wochen das große Thema. „Bei uns haben die über hundert Patienten alle die Petition unterschrieben“, sagt Dr. Thomas Kiefer vom privaten Nierenzentrum Stuttgart-Vaihingen. Der Nephrologe weist darauf hin, dass die Pauschale ausschließlich Sachkosten abdeckt. Neben Dialysegeräten, Mieten, Verbrauchsmaterialien und Strom werden damit auch Personalkosten finanziert. „Diese Kosten werden nicht weniger“, sagt Kiefer und warnt: „Da werden manche Dialysezentren an Grenzen kommen.“

Ähnlich sieht es auch Dr. Jörg Meinshausen vom Dialysezentrum an der Wolframstraße, dem größten in Stuttgart: „Die Kürzung der Pauschale bringt uns in die Bredouille.“ Und: „Das führt dazu, dass am Dialysepersonal gespart wird.“ Pro Zeiteinheit müsse eine Krankenschwester mehr Patienten versorgen. Dadurch wachse der Druck. „Es haben schon Leute gekündigt“, sagt Meinshausen. „Wir arbeiten zurzeit mit einigen Leihkräften.“

Konkurrenz wartet schon

In manchen Dialysezentren wird bereits ein Teil der Krankenschwestern durch Arzthelferinnen ersetzt, bestätigt ein anderer Nierenarzt aus Stuttgart, der nicht genannt werden will. Er argwöhnt, „dass über die Pauschale und die Kostenschraube der Dialysemarkt bereinigt werden soll.“ Betroffen seien Zentren, die schon jetzt wirtschaftlich schlecht aufgestellt seien.

Sollten Dialysezentren in großer Zahl schließen müssen, steht die Konkurrenz schon in den Startlöchern. „Große Ketten als Anbieter können die Dialyse billiger machen“, sagt Professor Mark Dominik Alscher, Ärztlicher Direktor am Robert-Bosch-Krankenhaus, und nennt als Beispiel den deutschen Konzern Fresenius Medical Care (FMC), der in den USA mit über 2000 Zentren Marktführer ist.

Alscher kennt als Vorsitzender des Landesverbands der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie die Sorgen seiner etwa 300 Kollegen in Baden-Württemberg. „Es gibt die Befürchtung, dass die Absenkung der Pauschale auf Kosten der Qualität geht.“ Die Sorge der Patienten kann Alscher verstehen. „Dialyse ist ein hochsensibles Thema. Da geht es um Leben und Tod.“