Vivien Reinhart räumt auf unverkrampfte Weise mit Vorurteilen auf. Foto: Gottfried Stoppel

Vivien Reinhart vom Landesverband der Sinti und Roma besucht Schulen, um Klischees gegenüber ihrer gesellschaftlichen Minderheit auszuräumen. In zwei Schulstunden verabschiedet man sich bald von einigen Vorurteilen.

Winnenden - Als ich mich an der Uni beworben habe, überlegte ich mir, ob ich da reinschreiben soll, dass ich Romanes beherrsche. Immerhin ist das eine weitere Sprache“, erzählt Vivien Reinhart den Schülern des Berufskollegs an der Schule beim Jakobsweg in Winnenden. Warum sie zögerte? „Vielleicht wäre ich damit auf Ablehnung gestoßen“, sagt die Sinteza, die aus eigener Erfahrung und jenen von Familienangehörigen weiß, dass es immer noch jede Menge Ressentiments gegenüber Sinti und Roma gibt. Obwohl die meisten, die Vorurteile gegenüber der staatlich anerkannten nationalen Minderheit hegen, wohl kaum je einen Sinto oder Roma kennengelernt haben.

Ein realistisches Bild von Sinti und Roma in Deutschland

„Gestatten, das sind wir“ heißt das Projekt, das Vivien Reinhart und Andreas Hoffmann-Richter nach Winnenden geführt hat. Initiiert wurde es vom Landesverband der Sinti und Roma zusammen mit der Evangelischen Landeskirche, deren Beauftragter für die Zusammenarbeit Hoffmann-Richter ist. Das Ziel ist, jungen Menschen ein realistisches Bild von der nur rund 120 000 Personen zählenden Minderheit in Deutschland zu vermitteln. Dazu besuchen die beiden seit Jahresbeginn Schulen in ganz Baden-Württemberg.

„Anmeldungen könnte es durchaus noch mehr geben. Bisher hatten wir erst 18 oder 19 Veranstaltungen“, sagt Hoffmann-Richter. Das Projekt umfasst zwei spannende Stunden für die Schulklassen, die an dem Projekt teilnehmen und eine Menge Aha-Effekte – nicht nur für Schüler, sondern auch für ältere Generationen, die sich dabei zudem von dem einen oder anderen gewohnten Klischee verabschieden dürfen.

Eine Vorstellungsrunde macht den Auftakt der Veranstaltung – im übertragenen Sinn, denn die Teilnehmer sollen aufschreiben, was ihnen zu Sinti und Roma in den Sinn kommt. Plan- oder Wohnwagen und Reisende wird notiert, Nomaden, Handeln und Stehlen ebenfalls, aber auch „keine Ahnung“ haben einige ganz ehrlich aufgeschrieben. „Ich kenne niemanden, der im Wohnwagen lebt, höchstens Holländer“, sagt Vivien Reinhart und lacht. Dafür weiß sie, dass Charlie Chaplin ein Sinti war und eine Reihe bekannter Musiker, zuvorderst der Jazz-Musiker Django Reinhardt.

Zwei spannenden Schulstunden mit manchem Aha-Erlebnis

Negative wie positive Vorurteile seien nach wie vor präsent. So die Vorstellung vom temperamentvollen Geigenspieler und der feurigen dunkelhaarigen Tänzerin mit großen runden Ohrringen. Wie sich herausstellt, sind diese auch das Zeichen in Gebärdensprache für Sinti und Roma: mit den Zeigefingern werden Kreise an den Ohren angedeutet. So etwas kann man wiederum in der Schule beim Jakobsweg lernen, die zur Paulinenpflege zählt. Hier steht unter anderem die Gebärdensprache auf dem Stundenplan. Andererseits weiß man nach den zwei Schulstunden auch, dass Sinti und Roma in Deutschland den selben rechtlichen Status haben wie die Minderheiten der Dänen in Schleswig-Holstein, der Sorben und – man höre und staune – der Friesen. Seit rund 600 Jahren leben Sinti und Roma in Europa, heute rund acht Millionen. Seit Jahrhunderten sind sie Ressentiments ausgesetzt, am schlimmsten unter der Nazi-Diktatur. In Osteuropa herrschen nach wie vor rassistische Vorurteile. Insbesondere in Ungarn schikaniert die rechtspopulistische Regierung zurzeit die dort lebenden Roma.