Azubis der Paulinenpflege Winnenden ertüchtigen das Gestänge von ausgedienten Schalensitzen aus der MHP-Arena in Stuttgart für das Zelt des Waiblinger Weihnachtszirkus. Als Dankeschön reserviert die Zirkusfamilie die Generalprobe exklusiv für die Paulinenpflege.
Wer denkt im Juli, wenn die Quecksilbersäule auf Werte über 30 Grad klettert, an Weihnachten? In der Paulinenpflege tun dies schon seit Wochen 17 Auszubildende im Fachbereich Metallbau. Sie ertüchtigen die Metallverbindungen von mehreren Hundert Schalensitzen für das große Zelt des Waiblinger Weihnachtszirkus.
„Das ist eine Win-win-Situation für die Azubis und den Zirkus“, sagt Matthias Vollmer von der Metallbaufirma Vollmer OHG in Waiblingen. Bei ihm hatte die Zirkusfamilie Sperlich aus Waiblingen zunächst angefragt, Vollmer hatte den Auftrag angenommen und dann in die Paulinenpflege, wo Matthias Vollmer momentan in der Azubi-Ausbildung als Krankheitsvertretung aushilft, „mitgebracht und eingefädelt“. Die Aufgabe ist ideal für die Auszubildenden der Fachrichtung Konstruktionstechnik beziehungsweise Metallbau. Viele von ihnen sind taub und wohnen auch in der Paulinenpflege, einer von sechs Einrichtungen in Deutschland, die gehörlose Menschen ausbildet.
Die Ausbilder sind immer zur Stelle
Im konkreten Fall werden sie handwerklich ausgebildet, aber sie müssen auch mit dem Taschenrechner Abstände berechnen und Arbeitsabläufe koordinieren. Ihre Ausbilder sind immer zur Stelle. Mit Gesten und Zeichen verständigen sie sich. Das klappt perfekt. Kürzlich wurden die ersten fertigen Sitze auf zwei Sattelschlepper-Aufleger gestapelt. Sie werden bald abgeholt und von der Zirkusfamilie Sperlich zwischengelagert, bis im November der Zeltaufbau beginnt.
Im Dezember dürfen die Azubis die montierten Sitze dann als Erste ausprobieren: als Anerkennung und Dankeschön für ihre Arbeit. Bei der Generalprobe des Waiblinger Weihnachtszirkus am 18. Dezember ist die gesamte Vorstellung für sie reserviert, bei freiem Eintritt. Das Zelt steht wie immer in der Talaue bei der Rundsporthalle. „Wir wollen uns natürlich bei den Azubis für ihre Arbeit bedanken“, erklärt Markus Sperlich, der Senior der Zirkusfamilie. 1000 Personen passen ins Zelt.
„Das wird ein Mega-Erlebnis für uns alle“, sagt Mario Voith, er ist Fachbereichskoordinator Metallbau bei der Paulinenpflege in Winnenden. Solche praxisbezogenen Projekte seien perfekt für die Auszubildenden, sagt Voith, aber eher selten. Für die Heimattage in Winnenden sei damals in den Werkstätten der Metallbauer auch ein „öffentlichkeitswirksamer“ Auftrag ausgeführt worden. Zehn Metalltafeln sind in der Mitte ausgeschnitten und dann an markante Punkte in der Landschaft gestellt worden. Wie ein Rahmen, der den „Durchblick in die Landschaft gewährt“, erklärt Mario Voith den Auftrag, der ebenfalls in den Werkstätten in der Linsenhalde ausgeführt wurde. Immer wieder fragt die Firma Rieker in der Paulinenpflege an, wenn wieder ein Sockel aus Cortenstahl gebraucht wird, auf dem eine Holz-Skulptur der Künstlerin Ebba Kaynak platziert wird.
Die roten Plastiksitze, die jetzt in Winnenden auf- und überarbeitet werden, hatte der Zirkus schon seit ein paar Jahren in seinem Depot. „Als damals das Stadion des VfB umgebaut worden ist, konnte man sie abbauen und kaufen“, sagt Markus Sperlich. Von der MHP-Arena in die Zirkusarena, das Unterfangen ist ambitioniert, aber machbar. Ziel der Sperlichs ist, die Sitzsituation fürs Publikum im Zelt zu verbessern. Weg von den langen Sitzreihen, hin zu Einzelsitzen auf der Tribüne. Künftig sind alle Reihen und Sitze durchnummeriert, alle Schalensitze sind auf einem festen Gestänge montiert und miteinander verbunden.
Das VfB-Rot ist etwas vergilbt
Das VfB-Rot der Sitzschalen ist etwas vergilbt, das ist halt so bei Plastik. Aber die Sitze selbst sind perfekt. Deshalb hatte Familie Sperlich damals zugegriffen und sie vom Neckar an die Rems geholt. Die Vierkantrohre, auf denen die Sitze verschraubt sind, mussten für ihre Zwecke jedoch teilweise gekürzt, teilweise verlängert werden. Sie wurden getrennt, auf Länge zugesägt. Es wurde geschweißt und geschraubt, und zum Schluss sogar noch mit Farbe lackiert, gestrichen und Nummern aufgesprüht.
Die Azubis haben tolle Arbeit geleistet. Markus Sperlich ist vom Ergebnis begeistert. Vier Arbeitsgänge, die viel handwerkliches Geschick voraussetzen und bis aufs Lackieren wichtige Elemente in der Ausbildung darstellen, waren notwendig. „Alle unsere Auszubildenden vermitteln wir nach ihrem Abschluss in den ersten Arbeitsmarkt“, sagt Mario Voith stolz. Auch die aktuellen Jahrgänge haben das Zeug dazu. Das beweisen sie gerade. Enrico, er ist im ersten Lehrjahr, nimmt zwei miteinander verbundene Sitze hoch, spannt sie in den Schraubstock und beginnt, ein Vierkantrohr zu kürzen. Danach werden die Metallteile gebürstet, manche tragen noch die Patina aus dem Stadion.
Am Arbeitsplatz gegenüber sind ein paar Azubis mit Schweißen beschäftigt, ausgestattet mit Sicherheitshandschuhen und einem Schutzschild für den Funkenflug. Im September sollen alle Sitzschalen-Elemente fertig umgearbeitet sein. Dann liegt der Ball bei den Zirkusleuten. Sie müssen sie im Zelt montieren. Die nächste Anfrage an die Paulinenhilfe hat Markus Sperlich schon vorbereitet. Dann geht es um sogenannte Rondell-Stangen, sie befinden sich im Zirkuszelt und müssten auch überarbeitet werden.