Ein Chor singt unter der Paulinenbrücke? Das gab es nicht nur zur Eröffnung, sondern gibt es künftig jeden Donnerstagabend. Foto: Nina Ayerle

Für eineinhalb Jahre wird die Fläche unter der Paulinenbrücke zu einer Spielwiese für die Bewohner dieser Stadt. Der Verein Stadtlücken hat sich maßgeblich für eine Belebung dieses Ortes eingesetzt. Das Experiment ist diese Woche gestartet.

S-Mitte/S-Süd - Der Österreichische Platz ist eine karge Asphaltfläche unter der Paulinenbrücke. Es war bisher nicht wirklich hübsch dort, ein Parkplatz halt. Vor kurzem hat die Stadt dem Parkplatzbetreiber gekündigt. Statt Autos gibt es unter der Brücke in den nächsten Wochen und Monaten Qi Gong, Karaoke, öffentliche Chorproben oder einfach nur ein gemütlicher Vesperabend – und das sind nur ein paar wenige Beispiele, was dort alles passieren soll.

Öffentlicher Raum für alle

Der Österreichische Platz wird bis Ende 2019 zu einem Experimentierfeld für die Bürger dieser Stadt. Ein Stück öffentlicher Raum den tatsächlich jeder, wirklich jeder, nutzen darf. Der Verein Stadtlücken fungiert dabei als eine Art Kurator. Die Architekten, Stadtplaner und Kreative verwalten die Fläche und beraten die Bürger. Am Wochenende haben sie den neuen Österreichischen Platz gemeinsam mit Bürgern sowie Vertretern aus Politik und Verwaltung eröffnet.

Symbolisch haben die Engagierten unter anderem mit den Bezirksvorstehern Raiko Grieb (Süden) und Veronika Kienzle (Mitte) das letzte Auto vom Platz geschoben – um Platz zu machen für all die Aktivitäten, die in den nächsten zwei Jahren diesen Ort wiederleben sollen. „Willkommen an einem Ort, an dem sich die Geister scheiden“, sagte Franziska Doll von den Stadtlücken zur Begrüßung. Am Österreichischen Platz geschehe etwas Mutiges: „Dieser Raum ist ab heute wieder öffentlich, er gehört Ihnen“, sagte Doll in Richtung der anwesenden Bürger.

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Das Mutige daran? Bürger haben sich in ehrenamtlicher Arbeit über zwei Jahre hinweg dieses Stück Stadt zurückerobert. Raiko Grieb verglich den Prozess, den der Ort derzeit durchläuft, mit dem Vorspann der ZDF-Kindersendung von Peter Lustig: „Wie der kleine Löwenzahn, der sich langsam durch den Asphalt kämpft, erst grün, dann gelb wird und langsam wächst und groß wird.“ Kein anderes Projekt in der Landeshauptstadt sei wohl so schnell verwirklich worden. „Für Verwaltungsverhältnisse ist das quasi D-Zug-Tempo“, fügte Grieb hinzu.

Mit Kunst und Kultur bespielt

Vor zwei Jahren hatte der Verein Stadtlücken erstmals bei ihm angefragt, ob er die Fläche unter der Brücke bespielen dürfen „Das war ein Versuch“, sagte Grieb. „Wie kommt das an, wenn Bürger einfach mal machen dürfen?“ Und ja, es habe super funktioniert. Für zwei Wochen installierten die Stadtlücken im Oktober 2016 einen Souvenirkiosk unter der Paulinenbrücke, bespielten den Ort mit Kunst und Kultur und befragten die Passanten nach ihren Wünschen für den Österreichischen Platz.

Klar war dann: an dem Ort muss weiterhin etwas passieren. Die Stadtlücken haben Pläne gemacht, sind in Ausschüsse gegangen, haben mit Politik und Verwaltung diskutiert. Am Ende erfolgreich: Je 40 000 Euro für 2018 und 2019 fließen für das Experiment aus dem städtischen Haushalt. „Auch die Stadt hat sich getraut, auf Geld und Autos zu verzichten“, betonte Grieb. „Und es damit möglich gemacht, dass wir dem Löwenzahn hier überhaupt beim Wachsen zuschauen können.“ Auch Mitte-Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle lobte den Einsatz und das Engagement der Stadtlücken: „Ich freue mich, dass wir heute hier stehen, um die Stadt klug weiterzuentwickeln.“ Es gehe darum, „Autos auch mal wegzuschieben“, sagte sie und fügte hinzu: „Ich habe gar nicht gewusst, dass das so einfach geht.“

Stricken, gärtnern, singen und diskutieren auf der Straße

Wem gehört die Stadt? Diese Fragen stellen sich in den letzten Jahren viele Bürger überall in den Städten und engagieren sich. Sie wollen die Gestaltung ihrer Stadt nicht mehr den Kommunalpolitikern und den Beamten überlassen. Sie treffen sich zum Stricken, Gärtnern, Singen oder Diskutieren auf der Straße – und erobern dabei den öffentlichen Raum zurück. Der Kunsthistoriker und Autor Hanno Rautenberg schrieb darüber schon vor einigen Jahren in seinem Buch „Wir sind die Stadt“: „Das Leben, das man so lange mit aller Macht aus den Städten vertrieben hat, drängt mit Macht in sie zurück, es zieht auf die Promenaden, Plätze, Kreuzungen, auf Parkdecks und selbst unter Autobahnbrücken.“ Und ja meistens sind es die engagierte Bürger wie die Stadtlücken, die ihre freie Zeit opfern und Orte gestalten.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras, deren neues Büro fußläufig vom Österreichischen Platz entfernt ist, war auch zur Eröffnung gekommen. „Phänomenal“ sei es, was die jungen Leute dort ehrenamtlich auf die Beine gestellt hätten. „Das ist eine unglaubliche Bereicherung für diese Stadt“, sagte Aras. Es sei auch ein Zeichen an Politik und Verwaltung, keine „Angst vor Partizipation“ zu haben. „Das tut der Stadt gut. Und ich freue mich auf die nächsten eineinhalb Jahre.“

Doch damit der kleine Löwenzahn nicht gleich eingeht, braucht es natürlich Bürger – Anwohner, Nachbarn, Vereine oder Initiativen – die sich bei der Gestaltung des Platzes mit ihren Ideen einbringen.