Bars und Clubs als Bühnen der Kunst? 25 Jahre nach seinem Tod mit gerade 38 Jahren wird der Maler Patrick Angus wiederentdeckt. Erfüllt die Schau im Kunstmuseum Stuttgart die Erwartungen? „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer hat sich umgesehen.
Stuttgart - In den frühen 1980er Jahren feiert die deutsche Malerei die Rückkehr der Tänzer. Doch sie tragen nicht mehr Anzug und Zylinder wie auf den Großstadtszenarien der 1920er Jahre – sie sind nackt, zeigen stolz ihre Muskeln und bewegen sich ganz offensichtlich im harten Rhythmus eines alles hinwegfegenden Empfindens von Gegenwart. Aus dem einstigen Blick in die Gesellschaft ist der Blick in eine Szene geworden. Die Malerei will sein wie diese – hart und schnell.
Maler machen Homosexualität zum Thema
Rainer Fetting und Salomé sind hier zuvorderst zu nennen – und immer gibt es eine künstlerische Parallelwelt. Ein Aspekt, über den die Maler der Nacht zu Kronzeugen neuer Auseinandersetzung mit den Themen Großstadt (Fetting) und Naturerleben (Salomés Schwimmer) werden. Parallel feiert man international Maler wie David Hockney und Francis Bacon, die ihre Homosexualität nicht weniger direkt zum Thema machen.
Patrick Angus bleibt weitgehend unbeachtet
Was also ist passiert, dass zur gleichen Zeit in New York mit Patrick Angus ein junger Maler weitgehend unbeachtet bleibt, dessen zentrales Thema die homosexuelle Club- und Bar-Szene ist.
1980 kommt Angus nach New York
Patrick Angus? Aus Los Angeles kommt der 1953 in Nord-Hollywood Geborene 1980 nach New York. Angus malt – seine Welt. Ein Jahrzehnt arbeitet er, sucht er – nach einer Position im künstlerischen Geflecht des 20. Jahrhunderts, nach einer Möglichkeit zudem, für sich zu klären, wie das eigentlich ist und geht mit der Liebe.
1992 mit 38 Jahren gestorben
Auch nach dem frühen Aids-Tod von Angus 1992 ändert sich wenig. Im Gegenteil. Eine Ausstellung in den letzten Lebensmonaten hat keinen Nachhall. Dies macht die Ausstellung „Patrick Angus. Private Show“, die von diesem Samstag an im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen ist, zu einer Premiere – im dicht verwobenen Kunstbetrieb heute eigentlich eine Unmöglichkeit. Die drei Stockwerke des Kunstmuseum-Kubus am Schlossplatz sind für Angus geräumt, 200 Arbeiten werden gezeigt. Ein Mammutprojekt für eine Neubewertung. Kann es diese aber überhaupt geben? Trägt die Kunst von Angus auch dann, wenn sie nicht auf wenige zentrale Bilder konzentriert ist?
Zeugnisse der Unmöglichkeit
Kunstmuseumsdirektorin Ulrike Groos und ihr Team nähern sich dieser Frage durchaus vorsichtig. Wohl wissend: Patrick Angus’ Bilder sind – im Gegensatz zu den Tänzern in der deutschen Malerei der 1980er Jahre und im Gegensatz auch zum Triumph einer aller bitteren Bühnenrealität enthobenen Figuration eines Francis Bacon – keine Bilder der Möglichkeiten. Es sind Zeugnisse der Unmöglichkeit. Von Nähe vor allem.
Zeitreise in die Kunstgeschichte
Mit dem Anschein der Dokumentation homosexuellen Lebens gehen diese Bilder doch auf Zeitreise. Zurück in die französische Kunst des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, zurück in die Szenerie von „Bordell und Boudoir“, wie Götz Adriani 2005 eine komplett unterschätzte Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen überschrieb. Und diese Bilder tauchen ein – in die Ateliers, in das Denken, in das Konstruieren von Realitäten vor allem des Jahrhundertkünstlers Pablo Picasso.
Patrick Angus studiert die Hauptdarsteller der Club- und Bar-Nächte wie er den Rhythmus der Inszenierung in den späten Zeichnungen Picassos und in den Bildern von David Hockney studiert.
Ausstellung in Themen gegliedert
Gemalte Ausrufe, lautstarke Behauptungen, wird man bei Patrick Angus nicht finden. Nein, sein Werk ist von Beginn eine Frage. Was könnte der US-amerikanische Realismus vor allem der 1960er Jahre mit europäischer Malerei, mit dem Begriff Peinture, zu tun haben? Was zudem das Geschaute mit dem Begriff bildnerischer Realität?
Ordnung nach Themen hilft der Orientierung
Im Kunstmuseum versucht man der sich anbahnenden Frageflut durch Themenkreise Herr zu werden. Sie heißen: Freunde, Familie, Selbstbildnisse, Schwules Leben, Eros, Interieurs, Referenzen, Landschaften – und schließlich: Bühnen, Bäder, Bars.
Die Ordnung hilft der Orientierung in einem weitgehend unbekannten Werk. Sie provoziert aber – etwa in der betont dichten Reihung von Landschaften – den Charakter der Dokumentation. Vor allem stützt sie die eigenwillige Sachlichkeit in Angus’ Bildern.
Kronzeuge der Vergeblichkeit
Fraglos sehen wir nackte Männer, sehen wir erigierte Penisse und Sex unter Männern. Aber wirklich wichtig ist das nicht. Nein, Patrick Angus ist nicht der Kronzeuge der New Yorker Gay-Nächte. Er ist der Kronzeuge der Vergeblichkeit, des Zögerns.
Schlüsselbild „Boys Do Fall in Love“
Dies alles verdichtet Patrick Angus in einem Bild, das zugleich Ausgangspunkt der Wiederentdeckung des Künstlers ist. Ein abgedunkelter Raum, eine Halle eher, darin auf der linken Seite eine Bühne, davor, kaum wirklich gruppiert, eine Handvoll Stühle. Ältere Männer sind zu erkennen, steif und unbeweglich sitzen sie da, ihre Mimik zeigt eine Spur Härte, aber auch Ungewissheit. Die Männer schauen auf die Bühne, im von rechts einfallenden Lichtkegel bewegt sich dort ein halbnackter junger Mann.
Es ist eine typische Szene für einen New Yorker Homosexuellen-Club der 1980er Jahre, und es ist ein historischer Topos, den der Maler Patrick Angus hier aufruft. Ob Männer Frauen beobachten, ob Männer Männer beobachten – seit dem 19. Jahrhundert ist der Blick auf eine solche Szene, der ja der Blick auf die Beobachter ist, eine feste Bildgröße. Vielleicht auch deshalb haben die Szenen von Patrick Angus, unmittelbare Zeugnisse doch eigentlich einer schnellen und inzwischen legendenhaft verklärten (Club-)Welt etwas so Selbstverständliches, etwas so Souveränes – und damit auch etwas so Zeitloses.
Ereignisse von Stonewall als Mahnung
Anfang 30 ist Patrick Angus, als er Bilder wie „Boys Do Fall in Love“ malt. „20 Jahre nach Stonewall, sagt Patrick Angus 1989, „haben homosexuelle Menschen noch immer wenig ehrliche Bilder von sich selbst, und die meisten von ihnen finden sich in unserer Literatur.“ „20 Jahre nach Stonewall“, damit verweist Angus 1989 auf die gewalttätigen Unruhen in der Nacht von 27. Juni auf 28. Juni 1969 nach der Durchsuchung einer Bar mit homosexuellem und Transgender-Publikum in der Christopher Street an der Ecke der 7th Avenue im New Yorker Greenwich Village.
„Schwule Männer“, sagt Patrick Angus 1989 weiter, „sehnen sich danach, sich selbst zu sehen und tun es nur selten. Offensichtlich müssen wir uns selbst darstellen. Und das sind meine Bilder.“
Auch Landschaften werden
Und so blicken wir heute mit Angus in Clubs, in Hotelzimmer, auf junge Männer, die sich anbieten, auf alte Männer, die warten und hoffen. Eine eigene Einsamkeit bestimmt diese Szenen, eine Einsamkeit, die sich ebenso in den parallel entstehenden Ansichten typisierter US-amerikanischer Vorstadtidylle wiederfindet. Auch wenn Patrick Angus Gebäude malt, Räume, schafft er Porträts.
Ein Künstler für Künstler
Mit 38 Jahren stirbt Patrick Angus 1992, die Mutter und der Nachlassverwalter halten das Werk zusammen. Ein Glück, denn so kann Patrick Angus, lange Zeit vor allem ein Künstler für Künstler, nun noch einmal neu entdeckt werden.
Wiederentdeckung beginnt mit einem Kinobesuch
Die Stuttgarter Galerie Thomas Fuchs hat daran wesentlichen Anteil. Der Kinofilm „An Englishman in New York“ (2009), biografische Verfilmung über die späten New Yorker Jahre des homosexuellen britischen Schriftsteller Quentin Crisp, gibt den Anstoß. Fuchs’ Lebensgefährte, der Stuttgarter Rechtsanwalt Andreas Pucher sieht den Film, ist von Szenen begeistert, in denen die Begegnung zwischen Crisp und dem jungen Patrick Angus gezeigt wird, Bilder des Malers betont in die Kamera gerückt werden. Folgerichtig ist dieser Part von „An Englishman in New York“ nun im Kunstmuseum zu sehen.
Filmausschnitte als Teil der Ausstellung
Schon 19 Jahre zuvor ist Quentin Crisps Engagement für Patrick Angus ein Filmthema – „Resident Alien“ beleuchtet, wenig differenziert allerdings, die Ablehnung von Patrick Angus durch New Yorker Galerien. Auch „Resident Alien“ zeigt das Kunstmuseum – und deutet hier zumindest an, was in der Schau aus der etwaigen Publikumsnutzung von Musikbeispielen der 1980er Jahre möglich gewesen wäre.
Andreas Pucher und Thomas Fuchs schreiben die Geschichte weiter
Und die Geschichte von Patrick Angus? Andreas Pucher und Thomas Fuchs schreiben sie weiter. Fuchs besucht die Mutter des Malers, die sorgsam die ihr anvertrauten Bilder hütet. Auch der Nachlassverwalter Douglas Blair Turnbaugh wird kontaktiert – und öffnet sein Archiv. Jetzt ist der Weg frei, und schon das Interesse an einer ersten Angus-Ausstellung in Stuttgart 2015 macht deutlich, was sich hier entwickeln kann.
Start in die Museumswelt
Nun also der Start in die Museumswelt. So vorsichtig er im Kunstmuseums-Erdgeschoss beginnt, so dokumentarisch er sich im zweiten Obergeschoss gibt, so fulminant ist doch das Finale im dritten Kubus-Geschoss. Einzeln beleuchtet sind die vor dunklen Wänden präsentierten Momente des Themenfeldes Bühnen, Bäder, Bars.
Ein Risiko aufdringlicher Inszenierung durchaus. Und doch zeigt sich hier noch einmal das Tastende in den Werken von Patrick Angus, die Nähe in der Distanz, als die eigentliche Stärke dieser Bildwelt.
Kunstmuseum zeigt Mut und Entschiedenheit
Gerne fordert man von Museen mutige Ausstellungen, die Entschiedenheit auch, zu Mitendeckern künstlerischer Positionen zu werden. Und nun? Ist das Kunstmuseum Stuttgart erste Bühne für das Gesamtwerk von Patrick Angus. Mit Mut und Entschiedenheit. Das wird bleiben. Wie das Interesse der Künstler – in der Schau durch Leihgaben etwa von David Hockney und Rainer Fetting belegt.
„Ich glaube nicht an die Liebe“ zitiert „An Englishman in New York“ Patrick Angus. Besucher von „Patrick Angus. Private Show“ im Kunstmuseum Stuttgart werden kaum daran zweifeln, dass Angus mit diesem Satz eigentlich alles gesagt hat.
Zeiten und Preise
Die Schau „Patrick Angus. Private Show“. Die erste umfassende Ausstellung zum Werk des 1992 mit 38 Jahren in New York gestorbenen Malers zeigt 200 Arbeiten.
Der Ort Zu sehen ist die Schau von diesem Samstag an bis zum 8. April im Kunstmuseum Stuttgart am Schlossplatz. Di bis So 10 bis 18 Uhr, Fr 10 bis 21 Uhr.
Die Preise Die Tickets kosten 11 Euro (auch gültig für den Besuch der Sammlung des Kunstmuseums), ermäßigt 8 Euro.
Die Vermittlung Empfehlenswert sind über den eigenen Besuch hinaus die angebotenen Führungen – Fr 18 Uhr und So 15 Uhr. Der umfangreiche Katalog kostet 29 Euro. Mehr zur Ausstellung unter: www.kunstmuseum-stuttgart.de.