Hämophilie, Agranulozytose, Ulcus ventrisuli, Cholelithiasis: Verstehen Sie beim Arztbesuch auch oft nur Bahnhof? Foto: Koti/Fotalia

Neben einem soliden Fachwissen und praktischer Erfahrung braucht ein Arzt vor allem eins: Zeit zum Zuhören. Doch gerade daran mangelt es vielen Medizinern im Praxis- und Klinikalltag. Das Gespräch mit dem Patienten ist zu einer oft lästigen Pflicht geworden.

Stuttgart - Jeder hat eine solche Situation schon einmal erlebt: Man betritt das Behandlungszimmer. Ein kurzer Gruß. Der Arzt blickt einen an, hört kurz zu, um dann auf seinen Monitor zu schauen oder die Karteikarte auszufüllen. Zum Schluss spuckt der Drucker ein Rezept aus. Gute Besserung. Tschüss. Das war’s.

In deutschen Praxen und Kliniken sind Mediziner, die zuhören, rar gesät. Wenn Arzt und Patient reden, dann meistens aneinander vorbei. Untersuchungen zeigen, dass es um die psychosoziale Kompetenz von Medizinern nicht immer optimal bestellt ist. Die Erklärungen des Patienten werden mitunter schon nach kurzer Zeit durch Fragen unterbrochen. Ob Sie Ihren Arzt richtig verstehen, können Sie in unserem Quiz testen.

„Charakteristisch für einen durchweg arztzentrierten, vertikalen Kommunikationsstil ist seine Einseitigkeit . . . Nur schätzungsweise fünf Prozent der Ärzte interessieren sich tatsächlich für das, was der Patient denkt“, heißt es in einer Studie zur ärztlichen Gesprächsführung.

Kaum Zeit für den Patienten

Laut Statistik bleiben Patienten durchschnittlich 7,6 Minuten in der Sprechstunde, um ihrem Arzt zu sagen, was sie plagt. Wenn der es besonders eilig hat, ist das Gespräch nach 4,3 Minuten beendet. Nicht gerade viel, um Ängste und Fragen loszuwerden und eine Therapieanleitung mit nach Hause zu nehmen. „Heute ist die Kommunikation zwischen Arzt und Patient der Technologie gewichen“, stellt der frühere Wiener Pflege- und Patientenanwalt Konrad Brustbauer fest.

Im Gesundheitsmonitor der Bertelsmann-Stiftung zum Arzt-Patienten-Verhältnis in der ambulanten Versorgung heißt es: „Zeit für die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist ein Deutschland knapp, aber wichtig für Diagnostik und Therapie. Sie fördert Vertrauen und Therapietreue der Patienten. Das Informationsbedürfnis der Patienten ist durchschnittlich erst nach 19 Minuten gestillt; zur Verfügung stehen statistisch gesehen aber nur 7,6 Minuten. Die Vergütung für das Gespräch mit Privatpatienten ist höher als beim gesetzlich versicherten Patienten.“

Sprachlosigkeit statt Kommunikation

Die Sprache, das wichtigste Instrument im Umgang mit dem Patienten, scheint vielen Ärzten abhanden gekommen zu sein. In der Sprechstunde herrscht oft Sprachlosigkeit. Der Patient ist zum „Objekt degradiert“ und zum „Kunden im Gesundheitssystem“ gestempelt worden, kritisiert der Salzburger Herzchirurg Felix Unger.

Zystitis, Agranulozytose, Dyspepsie – Verstehen Sie auch nur Bahnhof!

Mediziner beherrschen Kohorten an Fachbegriffen. Selbstverständlich wenden sie diese auch an – und zwar dort, wo sie nur bedingt etwas zu suchen haben: im Gespräch mit dem Patienten. Für diesen sind Begriffe wie interstitielle Zystitis (Harnblasenentzündung unklarer Herkunft) oder Agranulozytose (Mangel an weißen Blutkörperchen) unverständliche Laute.

Hinzu kommt, dass der Patient beim Arzttermin emotional angespannt ist, weil er nicht weiß, was ihn plagt und erwartet. Jede Äußerung wird vor dem Hintergrund eigener Ängste und Hoffnungen gedeutet. Die mangelhafte Kommunikation verstärkt nur das Gefühl, der Krankheit und dem Medizinbetrieb hilflos ausgeliefert zu sein.