Auf der Ideallinie: DTM-Spitzenreiter Pascal Wehrlein. Foto: Getty Images

DTM-Pilot Pascal Wehrlein kann sich an diesem Wochenende den Titel sichern. Es wäre ein Meilenstein in einer steilen Karriere, die den Rennfahrer wohl bald in die Königsklasse führt. „Ich bin sehr nah dran“, sagt Wehrlein im Interview.

Stuttgart - Herr Wehrlein, 37 Punkte Vorsprung, maximal 50 Punkte kann ein Fahrer noch holen. Ist die Titelparty schon geplant?
Natürlich habe ich lieber 37 Punkte Vorsprung als 37 Punkte Rückstand, aber Sie wissen so gut wie ich, was im Motorsport alles passieren kann. Den Titel habe ich noch nicht sicher, aber im Grunde bin ich zuversichtlich.
Sie haben aufgrund der Gewichtsregel 2,5 Kilogramm mehr an Bord als Ihre Audi-Konkurrenten Edoardo Mortara und Mattias Ekström.
Das treibt mich nicht um, diese zweieinhalb Kilo machen pro Runde etwa fünf Hundertstel aus.
Eigentlich ist es eine blöde Regel, dass die guten Fahrer mit Zusatzgewichten eingebremst werden.
Ich habe das schwerste Auto, weil ich vorne mitfahre – so sind die Regeln, sie standen schon zu Saisonbeginn fest, und ich beschwere mich darüber nicht. Die Gewichte wurden eingeführt, um die Meisterschaft bis zum Ende spannend zu halten. Und das hat funktioniert. Ich halte es für eine Ausrede, wenn man sich über das Zusatzgewicht beklagt.
Als Titelkandidat werden Sie nicht mit einem Messer zwischen den Zähnen ins Saisonfinale gehen.
Im Qualifying muss man immer alles geben. Meine Gegner müssen mehr riskieren, sie müssen mindestens eines von den zwei Rennen gewinnen, um noch eine Chance zu haben.
Die übrigen Mercedes-Fahrer werden Sie nach Kräften unterstützen, was bei der Konkurrenz schon für böses Blut gesorgt hat.
Natürlich werden die Markenkollegen mir helfen, wenn es sein muss. Das ist doch völlig normal in der DTM – wenn einer um den Titel mitfährt, dann wird er von seinen Markenkollegen unterstützt. Das macht doch jeder in der DTM so.
Audi hat sich über die augenfällige Teamorder bei Mercedes am Nürburgring bitter beschwert.
Es gibt genug Beispiele in der jüngsten Vergangenheit, wo die anderen genauso gehandelt haben. Daher finde ich es schon ein wenig scheinheilig. Selbst Rockenfeller und Ekström haben gesagt, dass das nichts Außergewöhnliches war und zum Motorsport gehört.
Und dann gab es ja auch in Spielberg den Funkspruch von Audi-Motorsportchef Wolfgang Ullrich an seinen Fahrer Timo Scheider: „Timo, schieb ihn raus!“ – danach standen Sie im Kiesbett.
Ich denke, über diese Aktion wurde viel diskutiert, und deshalb wäre eine gewisse Zurückhaltung durchaus angebracht.
2013 waren Sie DTM-Rookie, jetzt stehen Sie kurz vor dem Titel-Triumph. Kommt Ihnen Ihre noch junge Karriere manchmal nicht wie ein Traum vor?
Warum ein Traum?
Weil alles so schnell und so reibungslos ging.
Ich weiß, dass ich in all den Jahren nur für meinen Sport gelebt habe. Seit ich acht Jahre alt war, gab es für mich eigentlich nichts anderes, ich war fast jedes Wochenende an einer Rennstrecke. Ich sehe in dem, was ich bisher erreicht habe, mehr eine Belohnung für all das, was ich getan habe.
Sie haben stets daran geglaubt, dass Sie es nach oben schaffen werden?
Ich lehne mich jetzt ja nicht zurück und sage: Das war ein gutes Jahr, sollte ich tatsächlich DTM-Meister werden. Ich bin doch noch lange nicht am Ende angekommen, ich bin jetzt sehr nah an der Formel 1 dran.
Bekommen Sie die Chance auf ein Formel-1-Stammcockpit nur, wenn Sie auch DTM-Champion geworden sind?
Nein, der Titel ist keine Voraussetzung dafür – die Gespräche darüber beginnen aber erst nach Hockenheim. Bis dahin versuche ich, die Formel 1 auszublenden.
Paul Di Resta war ein DTM-Champion, der von Mercedes in der Formel 1 bei Force India untergebracht wurde. Nach drei Jahren musste er wieder zurück in die DTM. Denken Sie da manchmal darüber nach?
Ich bin ein anderer Mensch, aber natürlich bin ich mir bewusst, dass man trotz guter Leistungen auch schnell wieder aus der Formel 1 draußen sein kann.
Ein Fahrer kann nicht nur durch Leistung überzeugen . . .
. . . sondern auch damit, dass er zehn Millionen Euro mitbringt und ganz gut Auto fahren kann. Diese zehn Millionen habe ich nicht, aber es ist für mich doch viel mehr wert, dass ich bei Mercedes bin. Ich könnte aber auch die nächsten 20 Jahre in der DTM fahren und wäre genauso glücklich.
Der typische Karriereweg sieht doch so aus: Ein Testfahrer wird zum Stammpiloten befördert.
Weil ich Teil des Mercedes-Teams bin, kenne ich inzwischen alle Abläufe rund um ein Formel-1-Wochenende, ich kenne die Ingenieure und die anderen wichtigen Personen, ich kenne die Meetings und weiß, wann ich wo sein muss. Und die Arbeit am Simulator ist mir auch nicht neu.
Die Formel-1-Simulation nützt aber nichts für die DTM.
Nein, das sind ganz andere Fahrzeuge, aber beim Fahren stellen sich immer wieder Lerneffekte ein, man bekommt neuen Input, neue Ideen – so stumpft man in seiner Arbeit nicht ab.
Sie sehen doch ohnehin viel von der Welt.
Ganz ehrlich: Ich hasse das Fliegen, dabei fliege ich zum Teil sechs-, siebenmal die Woche. Das ist keine Angst, ich weiß aber nicht, warum ich wirklich extrem ungern in einem Flugzeug sitze (Pause). Vielleicht nervt es mich, dass ich in 10 000 Meter Höhe unterwegs bin, ich aber nicht die Kontrolle besitze.
Machen Sie es wie Niki Lauda: Machen Sie den Flugschein, und kaufen Sie sich einen Jet.
Da muss ich aber noch ein paar Rennen gewinnen, bis es so weit ist und ich mir ein Flugzeug leisten kann (lacht).
Bis dahin müssen Sie sich mit Handyspielen die Zeit im Flieger vertreiben und sich ablenken.
Das ist auch so eine Sache: Ich könnte mir ein Leben ohne Handy nicht vorstellen. Ich reise ja stets allein, da bin ich froh, wenn ich Kontakt zu Freunden oder meiner Familie aufnehmen kann, dass ich mich mit allen möglichen Dingen ablenken und unterhalten kann.
Kennen Sie noch die Telefone mit Wählscheibe?
Nein, ich glaube, ich wüsste nicht, wie man sie benutzt. Mir fällt es schon schwer, mich ohne Handy mit einem Freund zu treffen.
Zurück zum Motorsport. Mit dem Attribut „Formel 1“ in der Berufsbezeichnung steigt die Popularität doch ungemein, oder?
Ja, ich werde in meinem Wohnort und auch in der Region um Tuttlingen sehr häufig angesprochen, seitdem ich in der DTM vorne mitfahre und ich Formel-1-Testpilot bei Mercedes bin.
Ein erfreulicher Umstand?
Ja, es ist eine angenehme Popularität. Ich werde um Autogramme gebeten, viele Leute machen ein Foto mit mir.
Hatten Sie noch keinen Ärger?
Nicht wirklich, natürlich gibt es Augenblicke, in denen ich ungestört essen gehen möchte oder mit meinen Freunden etwas unternehmen. Diese Umstände gehören aber zu meinem Job.
Gibt’s eigentlich einen Wehrlein-Fanclub?
Ja, seit langem. Aber der Club ist noch nicht riesig, die Mitglieder kenne ich alle noch persönlich. Die Leute kommen in mehreren Bussen nach Hockenheim, um mich zu unterstützen.