Alles schön bunt hier: Das Partyvolk schluckt immer öfter gefährliche Pillen Foto: Factum/Weise

Der Rausch gehört für viele Menschen zum Leben. Dabei geht es nicht um Pils oder Prosecco – das Partyvolk schluckt immer öfter bunte Pillen. Synthetische Drogen sind auch in Stuttgart auf dem Vormarsch. Die Suchthilfe schickt Szenegänger als Aufklärer ins Geschehen.

Stuttgart - Was ist drin im grünen Stern? Die kleine grüne Pille verspricht Euphorie und Glücksgefühle im Takt der Elektrobeats auf der Tanzfläche. Für zehn Euro das Stück durchaus erschwinglich – doch was ist wirklich drin? Wer Philipp Weber fragt, bekommt mit mahnendem Zeigefinger ein Foto und ein Untersuchungsergebnis vorgezeigt: 218 Milligramm MDMA, eine chemische Amphetamin-Verbindung. Das ist viel zu hoch dosiert. „Für einen Mann sind 120 Milligramm die Grenze“, sagt der Sozialarbeiter der Drogenberatungsstelle Release. Sonst drohen schwere Gesundheitsschäden. Danke. Ein Partygast informiert seinen Kumpel, und der wirft die böse Pille ins Klo.

Ist ja nicht so, dass sich die Szenegänger und das Partyvolk blindlings ins Verderben stürzen wollen. Rausch ja. Aber irgendwo doch kontrolliert. Doch was heißt schon Kontrolle? „Viele kaufen das übers Internet“, sagt Robin, 23 Jahre alt, seit neun Jahren in der Szene der elektronischen Musik zu Hause. Er hat Freunde, für die synthetische Drogen zum Alltag gehören. Und die bei der Unterscheidung von guten und bösen Pillen auf den Dealer oder aufs Internet vertrauen. Ein gefährliches Halbwissen.

Für Stuttgarter Suchthilfe ist Wien ein Vorbild

„Der Konsum ist ein großes Risiko, denn es gibt ja keinen Tüv dafür“, sagt Nicole Benz, die mit ihrem Kollegen Philipp Weber bei der Drogenberatungsstelle Release ein landesweit einmaliges Präventionsprojekt betreibt. Take, zu Deutsch Einnehmen, heißt das Projektüber Partydrogen, das mit Hilfe von Szenegängern mitten im Geschehen der Clubs betrieben wird. Robin gehört zu den Freiwilligen, die als Insider in den eigenen Reihen aufklären wollen. Acht solcher Freiwilliger unterstützen die professionellen Sozialarbeiter. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt, am Mittwoch zog Release eine Halbzeitbilanz. Tenor: Verlängerung nötig.

Ein Tüv für Partydrogen – warum eigentlich nicht? Release-Geschäftsführer Ulrich Binder setzt sich für einen mobilen Drogen-Test ein, wie er in Wien längst praktiziert wird. Bei großen Veranstaltungen baut ein Team der Toxikologie des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) der Stadt Wien ein kleines Labor auf. Festbesucher können sich eine Probe ihrer Pille anonym analysieren lassen. Die Ergebnisse hängen an einer Infotafel am Zelt aus – und häufig gibt es Warnungen über „unerwartete Testergebnisse“.

Ein solcher mobiler Tüv ist für Binder „keine Aufforderung zum Konsum“, wie er betont. „Aber wenigstens sollten die Konsumenten das reflektiert tun.“ Rechtlich sei das in der Bundesrepublik indes bisher nicht möglich. „Da gibt es so manches dickes Brett zu bohren“, so Binder. Schließlich müsste hierfür das Betäubungsmittelgesetz geändert werden. Das Thema sei allerdings drängend. Nur dank Projekten wie in Wien können die Stuttgarter konkret vor bösen Pillen warnen – etwa dem grünen Stern.

Das Landes-Sozialministerium ist skeptisch

Beim Landes-Sozialministerium stößt die Suchthilfe mit ihrer Forderung auf wenig Gegenliebe. Dabei ist der neue Sozialminister Manfred Lucha kein CDU-Mann, sondern ein Grüner. „Wir sehen einen solchen Drogen-Check eher kritisch“, sagt die stellvertretende Referatsleiterin für Psychiatrie und Sucht, Sonja Lohmüller. Schließlich könne man von einer kleinen Probe nicht auf die ganze Charge schließen: „Bei den anderen Pillen zu Hause kann das schon ganz anders sein“, sagt Sonja Lohmüller. Die Gesamtbotschaft müsse generell lauten: „Was ihr da einwerft, ist riskant.“

Release hofft darauf, dass sich Ansichten ändern. Die Zeiten ändern sich jedenfalls. Heroin ist zum Randthema geworden, Amphetamine und Cannabis spielen auch in Stuttgart eine immer größere Rolle. „Cannabis ist bei 75 Prozent unserer Klienten die Hauptdroge“, sagt Geschäftsführer Binder. Das Partydrogenprojekt Take hat zu 4100 Kontakten und 770 Beratungen geführt. Drei Viertel der Leute hatten zuvor keinen Kontakt zu Suchthilfesystemen. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt Binder. Die finanziellen Förderer, sieben Stiftungen, Vereine und Institutionen, haben eine Verlängerung in Aussicht gestellt.

Partys, Pillen, Polizei – die Infos

Das Projekt: Das Präventionsprojekt Take wurde von der Drogenberatungsstelle Release 2015 gestartet, soll drei Jahre lang in der Partyszene problematischen Konsummustern vorbeugen und Gesundheitsschäden vermeiden. Die Kosten von 125 000 Euro pro Jahr tragen Lechler-Stiftung, Sozialministerium, Studierendenwerk Stuttgart, Diakonie, Stiftungen der LBBW und der Verein Frauen helfen Frauen. Mehr im Internet auf der Seite von Take Stuttgart.

Die Drogen: Ecstasy ist der Sammelbegriff für die verschiedenen Amphetamine, am gebräuchlichsten ist das Methylendioxy-N-methylamphetamin MDMA. Der Stoff soll euphorische Gefühle wecken. Zum Abbremsen und Beruhigen wird auch Cannabis konsumiert. Kein Wunder, dass synthetische Drogen und Cannabis in der Suchthilfe inzwischen die Hauptrolle spielen.

Die Polizei: Über 72 Prozent der Fälle für die Stuttgarter Drogenfahnder betrafen 2015 den illegalen Besitz und Erwerb von Cannabisprodukten. Das zeigt sich auch bei der Sicherstellung von Betäubungsmittel. Letztes Jahr wurden in Stuttgart 25,5 Kilo Marihuana und 1,3 Kilo Haschisch sichergestellt. Die Menge an beschlagnahmten Amphetaminen hat sich auf 8,3 Kilogramm binnen Jahresfrist verdoppelt. Außerdem landeten 2000 Ecstasy-Pillen bei der Polizei. http://www.take-stuttgart.de