Unter dem Eindruck des Kriegsbeginns sind viele Städte in Baden-Württemberg Partnerschaften mit ukrainischen Städten eingegangen. Was ist daraus geworden?
Die Morgensonne ragt noch nicht ganz über das Gebäude der Tübinger Stadtwerke (swt) als die ukrainische Delegation zum Gruppenfoto antritt. Der Anlass ist die Übergabe eines VW-Transporters an die Partnerstadt Krementschuk. Die Tübinger Stadtwerke haben den VW-Transporter überholt und TÜV geprüft, bevor er in Zukunft logistische Aufgaben in der 220 000 Einwohner großen Stadt südlich von Kiew übernehmen kann, die regelmäßig russischen Raketenangriffen ausgesetzt ist. Krementschuks Oberbürgermeister Vitalii Maletskyi bedankt sich für die Spende und breitet für das gemeinsame Foto die ukrainische Flagge aus.
Wie ist das Engagement in anderen Städten Baden-Württembergs?
In Baden-Württemberg haben seit Kriegsbeginn in der Ukraine 19 Kommunen am Förderprogramm für Solidaritätszuschüsse der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) teilgenommen. Dabei können sich Städte auf allgemeine Fördergelder bewerben, sowie projektbezogene Unterstützungen, die teilweise direkt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kommen, um mit ukrainischen Städten Partnerschaften aufzunehmen. Vor allem größere Städte nehmen für ihre Solidaritätspartnerschaften jedoch auch Finanzen aus der eigenen Kasse.
Seit dem 2. März 2023 besteht zwischen Stuttgart und Chmelnyzkyj eine Solidaritätspartnerschaft. Als erste Unterstützung brachte Stuttgart mit Hilfe des Gustav-Adolf-Werks 45 Kleingeneratoren in die Ukraine, Schulpartnerschaften wurden geschlossen und im Juli werden zehn ukrainische Einsatzkräfte auf Einladung der Feuerwehr Stuttgart zu Schulung nach Deutschland reisen. Zudem stehe eine Summe von 1,5 Millionen Euro für weitere Unterstützung der Solidaritätspartnerstadt bereit.
Ähnlich verhält es sich in anderen Partnerstädten in Baden-Württemberg. In Karlsruhe besteht seit April letzten Jahres ein Solidaritätsbündnis mit der Stadt Winnyzja, an die seither Wärmezelte mit Infrarotstrahlern, ein Feuerwehrfahrzeug, sowie drei Krankenwagen geliefert wurden. „Schon 113 Lastwagen haben wir mit dringend benötigten Gütern fahren lassen. Kleinbusse zählen wir dabei nicht“, sagt der Vorsitzende der Ukrainer Karlsruhe über die Spenden aus der Bevölkerung.
Mittlerweile mündete die Zusammenarbeit der Städte in eine offizielle Partnerstadtsbeziehung. Ebenso in Mannheim, die ihrer Partnerstadt Czernowitz innerhalb der letzten beiden Jahre zehn kommunale Fahrzeuge, etliche Generatoren, medizinisches Material und eine Million Euro Direkthilfe zusendeten.
Freiburg schon seit 34 Jahren mit der Ukraine verbunden
Deutlich weiter ist die Beziehung zwischen Freiburg und dessen Partnerstadt Lwiw. Anfang Mai war Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) auf Einladung von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in der Ukraine. Dort besuchte er neben Kiew auch die Lwiw. Die an der Grenze zu Polen gelegene 720 000 Einwohnerstadt ist bereits seit 1990 Partnerstadt von Freiburg. Dementsprechend sind die Unterstützungsleistungen hoch.
So hat Freiburg Klinikmaterial im Wert von drei Millionen Euro gespendet. Darunter waren medizinische Ausrüstung und Beatmungsgeräte für den Krankenhausbedarf, sowie Stromgeneratoren. Die materielle Hilfsleistung wurde mit 2,5 Millionen Euro vom Land Baden-Württemberg gefördert. Unter der Vermittlung Freiburgs wurde das Rehazentrum „unbroken“ für physisch und psychisch Verletzte in Lwiw mit zwölf Millionen Euro Fördergeld vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt.
Partnerschaft soll über den Krieg hinaus gehen
Im Tübingen ist die ukrainische Delegation derweil im Rathaus angekommen. Dort wird ein Vertrag mit großer symbolischer Bedeutung unterschrieben werden. Die seit 27 Jahren bestehende kulturelle Beziehung mit Krementschuk soll in eine offizielle Solidaritätspartnerschaft münden. Die Unterzeichnung soll die Ambitionen für die Zukunft unterstreichen. So spricht die SPD-Gemeinderätin Ingebörg Höhne-Mack bereits vom Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg, wie einst durch die Alliierten in Deutschland.
Nähergebracht hat die beiden Städte ursprünglich der Austausch von Künstlern und Theatergruppen, der bis heute anhält. So waren zwei Künstlerinnen aus Krementschuk Teil der Delegation und durften in der örtlichen Kunsthalle einige Kunstwerke ausstellen. „Drei Tage sind wir die rund 2000 Kilometer mit Bus und Zug angereist, die Exponate hatten wir in Boxen dabei und in vier Tagen geht es dieselbe Route zurück“, berichtet die Malerin Tetjana Shuliak.
Dass eine Tübinger Delegation in die Ukraine reist, sei erst für die Zeit nach dem Krieg angedacht. Als Familienvater könne er nicht in eine Stadt reisen, die 260 Kilometer von der Front entfernt liegt, so OB Palmer. Neben all den Sachleistungen die dadurch in der Ukraine ankommen, möchte die Tübinger Gemeinderätin Höhne-Mack als nächsten umsetzbaren Schritt Online-Treffen von Schulklassen der jeweiligen Partnerstädte initiieren, „um die Kriegsrealität unseren Schülern näher zu bringen“. Irgendwann soll es auch klassische Schüleraustausche geben – nach dem Krieg.