Angela Merkels Kurs in der Flüchtlingskrise hat auch im eigenen Lager polarisiert. Auf dem Parteitag in Essen muss die CDU einen neuen Konsens finden.
Berlin - Peter Tauber, der Generalsekretär der CDU, ist in diesen Tagen sicher mehr General als Sekretär. Am Dienstag beginnen in Essen die Beratungen den CDU-Bundesparteitag, auf der eine unruhige Partei auf den kommenden Bundesparteitag ausgerichtet werden soll. Tauber wird derzeit nicht müde, die Christdemokraten auf einen Wahlkampf einzuschwören, der sich nach seiner Erwartung, „ganz anders anfühlen wird als die vergangenen Wahlkämpfe mit der Spitzenkandidatin Angela Merkel“.
Was er damit meinen könnte, davon hat die Kanzlerin am Freitagabend in Jena einen Eindruck erhalten, wo die letzte in der Kette der vor dem Parteitag anberaumten Regionalkonferenzen stattfand. Ein Vertreter der CDU-Basis ist aus Berlin angereist, hat sich vorbereitet und eine lange Liste der Kritikpunkte erstellt, die er nun Punkt für Punkt abarbeitet: der „ohne Not“ vollzogene Ausstieg aus der Kernenergie, die „fehlgeleitete“ Euro-Rettung, die „katastrophale“ Migrationspolitik. Das gipfelt dann alles in eine persönliche Attacke des Mannes: „Frau Merkel, Sie ruinieren unsere Partei, Sie sind die Nemesis der ehemals großen CDU, treten Sie zurück!“ Es gibt zumeist empörte Buhrufe im Saal, aber auch hörbaren Beifall unter den 800 Parteimitgliedern – die meisten aus den Landesverbänden Thüringen und Sachsen. Als Merkel später am Abend zum Antworten kommt, ist der Mann schon weg. Ganz weg – er hatte noch in seinem Schlusssatz seinen Austritt aus der Partei verkündet.
Die ist es, was Tauber meint: Die CDU macht zehn Monate vor der Bundestagswahl die Erfahrung, dass Merkel polarisiert. Die eigene Partei, aber noch mehr die Wählerschaft. Zum ersten Mal überhaupt muss Merkel einen Wahlkampf führen, in dem sie die Union gegen Angriffe von links und von rechtspopulistischer Seite verteidigen muss. Kann sie das?
CDU verändert in ihrem Leitantrag den Ton
„Kuschelwahlkämpfe“ nennt Tauber die Merkel-Erfolge der Jahre 2009 und 2013. Diesmal steht eine wilde Fahrt an – und die kann nur gut gehen, wenn die Partei einigermaßen geeint ist. Tatsächlich war Jena die Ausnahme. Dort wogten die Debatten noch immer fast ausschließlich um das Flüchtlingsthema. Die anderen Konferenzen liefen anders. Da war der Wille spürbar weiterzuziehen. Dort gab man sich zufrieden mit Merkels Äußerungen, dass sich die Turbulenzen von 2015 nicht wiederholen dürfen. Genau das soll der Parteitag schaffen: die Orientierung auf die Zukunft, das Ende der innerparteilichen Konflikte um die Ausrichtung in Sachen Flüchtlingspolitik.
So heißt auch der Leitantrag: „Orientierung in schwierigen Zeiten“. Es ist ein ungewöhnlicher Antrag. Die CDU verändert den Ton. Er hat wenig von dem dröhnenden Optimismus, mit dem Parteien sonst ihre Selbst-Hypnose bewerkstelligen, die sie in die Lage versetzt, im Wahlkampf alle Anfechtungen abprallen zu lassen. Von Sorge ist die Rede. All die Krisenherde werden aufgezählt: Ukraine, Naher Osten, Afrika, Syrien, Türkei, die Angst vor Terror, vor dem Zerfall der EU, vor der Globalisierung. Und benannt wird auch die Sehnsucht nach einfachen Lösungen. „Populismus, Abschottung nach außen, Protektionismus und die Spaltung der eigenen Gesellschaft sind aber keine Antworten auf die drängenden Probleme von Gegenwart und Zukunft“. Die Christdemokraten wollen sich als Vertreter einer „Wertepartei“ darstellen, die sich „solchen Bestrebungen entschieden widersetzen“, weil sie noch nie und nirgends funktioniert“ haben. Die CDU beschwört Heimat und deutsche Leitkultur, will die innere Sicherheit in den Vordergrund stellen und auch ein bisschen Mut machen. Wenn Deutschland wirtschaftlich stark bleibe, würden kommende Überschüsse je zu einem Drittel zur Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, für Investitionen und Schuldentilgung ausgebeben. „Sicherheit im Wandel“ hieß mal ein SPD-Wahlkampfslogan. Es ist die Botschaft der CDU für das anstehende Wahljahr.
Nur muss die Partei dafür ihren Frieden mit der Merkelschen Flüchtlingspolitik machen. Die Kanzlerin geht dabei ein weites Stück auf die Partei zu. Dass die Balkan-Route geschlossen ist, zählt der Leitantrag ausdrücklich zu den Punkten, an denen „unsere Politik erfolgreich war“. Ausführlich geht es um die Grenzen der Religionsfreiheit, um den Kampf gegen islamistische Hassprediger, um Terrorbekämpfung. Reicht das?
Anträge zum Thema Flüchtlings-Obergrenze gibt es nicht
Man muss keine Südwest-Brille aufsetzen, um zu erkennen, dass dem baden-württembergischen Landesverband diesmal gleich eine doppelte Brückenfunktion zukommt. Während die Südwest-Landesgruppe der Bundestagsfraktion einen Initiativantrag vorlegen wird, der sich mit der Integration bleiberechtigter Migranten beschäftigt, hat Thomas Strobl schon in der vergangenen Woche seine gewachsene Unabhängigkeit zu einem wuchtigen Aufschlag benutzt: Er will die Abschiebungen nicht anerkannter Asylbewerber voranbringen, auch in Richtung Afghanistan abschieben, Flüchtlingszentren auf dem afrikanischen Kontinent sollen entstehen. Dass da beide Seiten abgearbeitet werden, Integration und Abschiebung, soll der Partei das Gefühl geben, es gebe in der Flüchtlingspolitik keine blinden Flecken mehr.
Vor allem aber zielt gerade die Strobl-Initiative in Richtung CSU. Die schmollt noch immer. Horst Seehofer kommt erst gar nicht zum Grußwort nach Essen. Aber man muss die Bayern wieder ins Boot holen. Strobls Fanfarenstoß soll ein Weg sein. In der CDU verfolgt man höchst aufmerksam, dass die CSU derzeit gerne von Obergrenzen bei der Einwanderung nach Deutschland redet. Einwanderung aber hat nichts mit Flüchtlingen oder Asyl zu tun. Über Grenzen bei der geregelten Einwanderung von Fachkräften will die CDU gerne mit sich reden lassen, nur nicht beim Thema Asyl. Ist das die Brücke?
Anträge zum Thema Obergrenze gibt es in Essen jedenfalls nicht. Wo also könnte sich Unmut der Delegierten Luft machen? Vielleicht beim Thema Vollverschleierung, zu dem mehrere Anträge vorliegen. Der Partei scheint die Linie von Innenminister Thomas de Maiziere zu weich zu sein. De Maiziere sorgt für die einzige einigermaßen aufregende Personalie auf dem Parteitag. Er kandidiert anstelle des von Afd- und Pegida-Sorgen zermürbten sächsischen Ministerpräsidenten Tillich für das CDU-Präsidium. Aber das ist eine Nebensache. Die einzig wichtige Wahl ist die von Angela Merkel als Parteivorsitzende. Wird sie abgestraft? Wird sie einen Denkzettel erhalten? 16 Jahre nach ihrer ersten Wahl zur Parteivorsitzenden, damals auch in Essen, ist sie als Parteichefin noch immer unangefochten. Unumstritten ist sie längst nicht mehr.