Die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, spricht beim Parteitag in Bonn zu den Delegierten. Foto: AFP/INA FASSBENDER

Beim Parteitag in Bonn schwört das Spitzenpersonal die Basis auf eine Politik ein, die sich an der Realität orientiert. Die Ampel streitet weiter über die Atomkraft.

Die Führungsriege der Grünen hat ihre Partei auf einen realpolitischen Kurs eingeschworen. Zum Auftakt des Bundesparteitags in Bonn riefen die Vorsitzende Ricarda Lang sowie Vizekanzler Robert Habeck die Basis am Freitag dazu auf, den Kurs der Grünen in der Bundesregierung pragmatisch zu unterstützen. Überschattet wird das Treffen vom ungelösten Streit innerhalb der Berliner Ampelkoalition über das Abschaltdatum für die drei verbliebenen Atomkraftwerke. Der Parteitag unterstützte am späten Abend in dieser Frage mit großer Mehrheit die Linie der Grünen-Führung.

 

Lang will mehr Waffen liefern

„Wir machen Politik für die Realität, die da ist, und nicht für die, die wir uns gewünscht haben“, rief Lang den Delegierten zu. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte sie: „Ich bin überzeugt, dass wir mehr Waffen liefern müssen, dass wir schneller liefern müssen. Die Zeit der Zögerlichkeit ist vorbei.“

Habeck sagte: „Jetzt, an der Wirklichkeit gemessen, beweisen wir, wie wir über uns hinauswachsen.“ Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte in einer Videobotschaft, das Land brauche die Grünen als Partei, die Verantwortung für das Ganze übernehme. Die Energiewende müsse dringend vorangetrieben werden. „Wir können uns aus der Krise herausinvestieren. Aber wir können uns nicht heraussubventionieren.“

Die zentralen Themen des dreitägigen Parteitags sind die Wirtschafts- und Sozialpolitik in Zeiten von Krieg und Pandemie, die Energiesicherheit, Außenpolitik und Klimaschutz. Die Grünen sind seit knapp einem Jahr Teil der Bundesregierung, die Basis folgt dem Kurs der Minister und der Parteiführung bislang ohne größere Widerstände. Vorstandswahlen stehen nicht auf der Tagesordnung, Parteichefin Lang und ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour sind seit Februar im Amt.

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck gelang es, sich vom Parteitag Rückendeckung für seinen Kurs in der Atompolitik zu holen: Habeck will allenfalls die beiden süddeutschen Meiler bis April 2023 in Betrieb halten und die niedersächsische Anlage Emsland wie geplant Ende 2022 abschalten lassen. Ein entsprechender Leitantrag des Grünen-Bundesvorstands erhielt am späten Abend eine klare Mehrheit der Delegiertenstimmen. Dafür hatten zuvor neben Habeck auch Umweltministerin Steffi Lemke sowie der ehemalige Ressort- und Fraktionschef Jürgen Trittin geworben.

Linder will drei Meiler am Netz halten

In der Koalition trägt Kanzler Olaf Scholz (SPD) Habecks Ansatz mit. Der Koalitionspartner FDP um Parteichef und Finanzminister Christian Lindner hingegen dringt unvermindert darauf, alle drei Meiler bis mindestens 2024 am Netz zu halten und dafür auch neue Brennelemente zu bestellen.

Am Freitag hieß es in Koalitionskreisen, es sei unwahrscheinlich, dass es noch während des Grünen-Parteitags zu einer Lösung des koalitionsinternen Streits kommen werde. Das Treffen läuft voraussichtlich bis Sonntagnachmittag.

Mit dem Votum der Delegierten machten die Grünen deutlich, wo für sie die roten Linien verlaufen: „Entscheidend ist für uns, dass keine neuen Brennelemente beschafft werden“, heißt es im Beschlusstext. Zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit sei allenfalls ein befristeter Weiterbetrieb der beiden Atommeiler Neckarwestheim und Isar 2 vertretbar. „Das Akw Emsland wird zum 1. Januar 2023 endgültig abgeschaltet und zurückgebaut. Für den norddeutschen Raum stehen andere Instrumente zur Verfügung, um die Netzstabilität zu sichern.“

Der Berliner Grünen-Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg wollte in Konkurrenz dazu einen Antrag durchsetzen, der die von Habeck geplante Einsatzreserve zurückweist und stattdessen auf der Stilllegung aller Meiler zum 31. Dezember 2022 beharrt. Dies lehnten die Delegierten klar ab.