Die neuen AfD-Bundesvorsitzenden Alexander Gauland (links) und Jörg Meuthen beim Bundesparteitag der Alternative für Deutschland in Hannover (Niedersachsen). Foto: dpa

Beim Parteitag von Hannover hat die AfD nach einem Nervenkrieg einen Vorstand gewählt – er steht noch weiter rechts als der alte.

Hannover - Erfolge soll man feiern, und deshalb hat man bei der AfD für die Parteitagsregie auf das stimmungsvolle Effektpaket gesetzt. Der Rauch, der da plötzlich hinter der Präsidiumsbank in den Raum schleicht und einen Spitzenplatz nach dem anderen vernebelt, macht dem Securitymann aus Sachsen jedoch Sorgen. Er schreitet ein. Es gibt dann Entwarnung – zumindest in diesem Punkt: Der Trockeneisnebel gehört zum Package, genauso wie die Popmusik und das blaurote Logo, das an die Wände projiziert wird und sich unaufhörlich dreht, nach rechts.

Eigentlich müsste das hier eine triumphale Veranstaltung werden, ein Signal für die Zukunft. Die Partei hat gerade den Einzug in den Bundestag geschafft, ist drittstärkste Kraft, sitzt vermutlich bald in allen Landtagen. Mit Frauke Petry ist auch eine Frau verschwunden, der man nachsagte, die Spaltung der Partei aus eigenen Karriereerwägungen aufs Spiel zu setzen.

Lichtshow für Jörg Meuthen

Auch Jörg Meuthen, der die AfD zuletzt alleine geführt hat, nun für sie aus Stuttgart weg und nach Brüssel geht und an der Spitze wiedergewählt werden will, badet zu Beginn in den Erinnerungen an ein erfolgreiches Jahr: Er lässt die Delegierten zu einem Einspielfilm eine Landesfraktion nach der anderen bejubeln, Scheinwerfer jagen zu stimmungsvoller Musik übers Parteitagsgestühl, am Ende der Lightshow steht Meuthen im blauen Licht.

Mit Timbre in der Stimme berichtet er von dem „emotionalen Moment“ auf der Besuchertribüne des Bundestags, als die Fraktion einzog. „Ich hatte Mühe diese Gefühle vor den anderen zu verbergen“, erzählt Meuthen. Es spricht von einem Moment des Innehalten, von den Mühen des Wahlkampfs. „Sind wir nun also angekommen?“, fragt er. „Wollen wir gar nicht sein.“ Man will nicht zum „Establishment“ gehören, denn „nicht um die Futtertöpfe des Landes geht es uns, sondern um unser Land“.

Alles gut also? Acht Stunden später skandieren dunkle Männerstimmen: „Doris, Doris, Doris“ – und die AfD befindet sich in einer Lage, die Alexander Gauland später „gefährlich“ nennen wird. Auf seinem Delegiertenplatz sitzt Björn Höcke und schweigt. Ein Mandat, ein Amt auf Bundesebene hat er nicht inne. Er scheint anders zu führen.

In diesem Moment scheitert die Partei fürs erste daran, ihre Spitze zu wählen – und das, obwohl seit Petrys Abgang vor zwei Monaten nach den Regeln der hier so verhassten „Altparteien“-Kunst gekungelt worden war um eine gemeinsame Klammer zu finden. Der müsste die Anhänger der stramm rechten Strömung „Flügel“ mit ihrer Leitfigur Höcke auf der einen Seite mit denjenigen verbinden, die sich als konservativ-nationale Realpolitiker verstehen und eine konstruktiveren Kurs fahren wollen.

Eine neue Ausgangslage nach dem Einzug in den Bundestag

Vergangene Woche schien alles klar: Neben Jörg Meuthen hatte als einziger aussichtsreicher Kandidat der Berliner Landeschef Georg Pazderski den Finger gehoben. Pazderski, ein Soldat a.D., kühler Kopf, stellt sich die AfD als Partei vor, die mittelfristig koalitionsfähig sein sollte und bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Er plädiert für eine klare Abgrenzung nach rechts. Nicht nur deshalb ist er den „Flüglern“ ein Dorn im Auge, sondern auch, weil er das Parteiausschlussverfahren gegen Höcke für richtig hält.

Dazu kommt nach dem Einzug in den Bundestag eine neue Ausgangslage: Die Fraktion steht im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und sie scheint ein Image der Mäßigung anzustreben. Pazderski ist ein Repräsentant dieser Linie. Aus anderen Ecken der Partei starrt man misstrauisch auf Ämterhäufung und ein mögliches Übergewicht.

Und daher reagierte die Strömung: Es wurden Spekulationen über eine Kandidatur Alexander Gaulands lanciert, selbst Höcke, der beim letzten Parteitag noch Hausverbot hatte, hielt sich eine Kandidatur offen. Nach Geheimtreffen am Vorabend des Parteitages sah es nach einem klassischen Hinterzimmerdeal aus: Das Duo Meuthen/Pazderski schien gesetzt, Gauland schien einverstanden – nicht aber der „Flügel“.

Aber selbst in der Partei der Transparenz werden Machtkämpfe nicht offen ausgetragen. Und so erscheint Björn Höcke zum ersten Mal nicht als Kandidat, sondern als man über die wenig aufregende Frage debattiert, ob der niedersächsische Landeschef Armin-Paul Hampel, da man in Hannover tagt, ein Grußwort sprechen darf. Höcke plädiert intensiv dafür – und kriegt seinen Stimmungstest. Eine Mehrheit hat der „Flügel“ nicht. Aber er scheint etwas anderes zu besitzen – den Zugang zu einem Stück Seele der Partei. Denn wie sonst könnte passieren, was um 18.15 Uhr, noch lange vor dem Ende eines ohnehin schon langen Tages geschieht:

Doris von Sayn-Wittgenstein, Familienrechtsanwältin, „Flügel“-Anhängerin, Sportschützin steht da in grauer Lodenwalkjacke, das blonde Haar über den Perlenohrringen zum Zopf gefasst, kandidiert spontan gegen Pazderski und redet sich und den Parteitag in Rage. Sie ist erst seit gut einem Jahr in der AfD, sie ist Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein und hat eine Vision: „Ich wünsche nicht, dass ich Koalitionsgespräche anbieten muss, sondern dass die anderen um Koalitionsgespräche betteln“, sagt sie mit Blick auf Pazderskis Rede. In Jubelrufe bricht der Parteitag aber aus, als sie sagt: „Ich möchte nicht, dass wir in dieser so genannten Gesellschaft ankommen. Das ist nicht unsere Gesellschaft. Hier werden wir ausgegrenzt“, und dann anprangert, wie der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk vor der Tür von linksextremen Gegendemonstranten angegriffen wurde.

Es folgt ein Wahlkrimi

Was folgt, ist ein Wahlkrimi: Im ersten Wahlgang erreicht keiner der beiden eine Mehrheit, in der Stichwahl kommt es zum Patt. Aufregung, von Spaltung wird gesprochen, der Parteitag wird unterbrochen. „Nervenkrieg“, sagt ein Delegierter, sei das. „Und das bleibt so.“

Und dann, wie durch ein Einigungswunder, ziehen beide Bewerber zurück. Der Höcke-Nestor Alexander Gauland kandidiert als jemand, der scheinbar über den niederen Dingen schwebt – nicht weil er will, sondern „weil ich mich ans Portepee gefasst fühlte“ und wird so vom Vorsitzenden hinter den Kulissen zum Parteichef neben Jörg Meuthen.

Der „Flügel“ hat hier sein Ziel erreicht – es ist der Vorstand seiner Wahl, beide Männer haben sich in der Vergangenheit der Vereinigung gegenüber wohlgesinnt gezeigt.

Pazderski bleibt ein Stellvertreterposten. Er wahrt Haltung, das kann er perfekt, sagt: „Ich freue mich.“ Und gibt mit einem kleinen zeitlichen Abstand eine Presseerklärung heraus, die man auch als Kampfansage verstehen kann: „Meine Priorität ist die Professionalisierung der Partei, um zu einem geeigneten Zeitpunkt aus einer Position der Stärke Regierungsverantwortung zu übernehmen.“

Mehr Hardliner im Vorstand

Im Vorstand anwesend sind jedenfalls künftig mehr Hardliner als bisher – darunter Andreas Kalbitz, Landeschef in Brandenburg, Vertrauter Björn Höckes. – Auch die Fraktion ist stark vertreten: Albrecht Glaser sitzt da, der den Islam als Ideologie versteht und deshalb die Religionsfreiheit beschneiden möchte, Beatrix von Storch, die Angela Merkel unter großem Jubel als „größte Rechtsbrecherin der deutschen Nachkriegsgeschichte“ bezeichnet und „alles, was nötig ist“ tun will, um Deutschland zu retten. Kay Gottschalk, der die AfD zur „neuen Partei für Gerechtigkeit“ machen will und Alice Weidel , die eine „Merkel-Dämmerung“ ausrief.

Wie es weitergeht? Für einen inhaltlichen Blick nach vorn hat die Partei bei dieser Versammlung kaum Zeit gefunden. Jörg Meuthen versucht nach der für die Delegierten aufregenden Wahl, die Wogen zu glätten. Es sei normal, dass Parteitage „eine Fieberkurve“ durchliefen. Die Temperatur seiner Partei wird er künftig vom fernen Brüssel aus messen. Aus der Ferne lässt sich gut wegschauen und schlechter führen. Meuthen sagt zwar: „Auch dort gibt es Mikrofone, und ich bin in einer Stunde mit dem Flugzeug in Berlin.“ Aber Macht ist oft eine Frage von Anwesenheit. Er selbst allerdings sieht kein Problem. Die Idee von einer Spaltung sei ein „mediales Konstrukt“. Streit, Ränkespiel, Kämpfe? „Wir sind eine Partei, die wie keine für Meinungspluralismus steht“, sagt Meuthen. Seine Partei sei „erwachsener“ geworden und „klüger“.