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Der Internet-Wahlkampf gewinnt an Bedeutung. Das glauben zumindest die Parteien und legen sich mächtig ins Zeug, um vor allem die junge Generation auf ihre Seite zu ziehen.

Stuttgart - Der Internet-Wahlkampf gewinnt an Bedeutung. Das glauben zumindest die Parteien und legen sich mächtig ins Zeug, um vor allem die junge Generation auf ihre Seite zu ziehen.

Steffi Lemke ist Wahlkampfleiterin der Grünen. Und sie twittert. So auch vergangenen Sonntag während des TV-Duells zwischen Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel: "Gut, dass mein Sohn ,Simpsons' schaut, sonst müsste er bei der Debatte um Schulden schreiend durchs Zimmer laufen." Oder: "Gut, dass dieses Ehepaar keine Kinder hat." Und weiter: "Keine TV-Duelle mehr ohne Opposition! Das ist langweilig!" Steffi Lemke hat 1070 Follower. Menschen also, die ihr folgen und verfolgen, was sie so zu twittern hat.

Seit Barack Obamas erfolgreichem Internet-Wahlkampf sind auch die etablierten deutschen Parteien infiziert. Sie haben eine Menge Aufwand betrieben, um ihre Online-Seiten aufzupeppen. Politiker können Medien wie E-Mail oder Online-Netzwerke dazu nutzen, ihren Anhängern wichtig erscheinende Neuigkeiten mitzuteilen. Wer exklusiv etwas erfährt, der fühlt sich ernstgenommen. Auf CDU-TV zum Beispiel - zu sehen auf You Tube - erzählt die Kanzlerin ganz exklusiv: "Wir kämpfen um jede Stimme." Wer hätte das gedacht? 3711 Aufrufe in einer Woche. Zum Vergleich: Ein Film über das Ankleben von Wimpern wurde innerhalb weniger Tage 24227-mal angeklickt. Vielleicht hätte Merkel besser Schminktipps geben sollen. Und noch eine aufschlussreiche Zahl: Die Kanzlerin hat bei Facebook rund 15000 Anhänger, der US-Präsident kommt auf weit mehr als sechs Millionen.

Der ehemalige Wahlkampfmanager Michael Spreng hält das Internet für überschätzt: "Die Zahlen derjenigen, die im Internet eine Wahlentscheidung treffen, sind doch sehr überschaubar." Spreng, der 2002 den Wahlkampf von Edmund Stoiber managte, spricht dem weltweiten Netz vor allem eine Rolle bei der Organisation von Unterstützergruppen zu. Man erreiche die eigenen Parteiangehörigen in sozialen Netzwerken. Kein Wunder: Parteitagsreden im Netz sind nicht gerade sexy - schon gar nicht bei der jungen Generation. Immerhin, so Spreng, könnte das Netz zur Bundestagswahl 2013 eine größere Rolle spielen. Derzeit seien die Aktivitäten im Internet eher ein Modernitätsausweis für jede Partei.

Eine Emnid-Umfrage untermauert diese Einschätzung. Demnach erklären 72 Prozent der Befragten, das Netz habe auf ihre politische Willensbildung keinen Einfluss. 18 Prozent messen dem Internet zumindest eine geringe Bedeutung zu. Eine Forsa-Umfrage kommt zu dem Schluss, dass die Internetseiten der klassischen Medien wie Zeitungen oder Radio für 81 Prozent der Gesamtbevölkerung und 71 Prozent der Jüngeren von Bedeutung sind. Der Durchschnitt der Bevölkerung informiert sich erst an fünfter Stelle aus dem Internet.

Glaubwürdigkeit spielt eine große Rolle. Auf dem unter Politikern beliebten Kurznachrichtendienst Twitter kann sich jeder für jemand anders ausgeben und alles Mögliche behaupten. So twittert Deutschlands bestgekleideter Politiker, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, angeblich: "Ich habe in den Spätnachrichten verteufelt gut ausgesehen. Graue Anzüge lassen mich seriöser aussehen. Ich sollte Angela mal einkleiden." Natürlich war das eine Fälschung. Steinmeier schreibt deshalb lieber in seinem eigenen Blog: "Heute ist ein ungewöhnlicher Tag. Ein ungewöhnlicher Ablauf. Am Vormittag habe ich Zeit mit meiner Familie verbracht. Endlich mal wieder ein langes Frühstück." Wer will das wissen?

Erfolgreich im Netz bewegt sich hingegen die Piratenpartei. 2006 gegründet hat sie seit der Debatte um die Sperrung von Kinderporno-Seiten großen Zulauf. Die Homepage wirkt schlicht. Sie ist leicht verständlich und lädt zum Mitmachen ein. Es gibt interaktive Spielereien, einen Vorstandsblog mit Kommentarfunktion, überall kann sich der Besucher beteiligen und mitteilen. Es gibt keine steifen Videobotschaften, die Sprache ist jugendlich. Wäre das Netz die reale Welt, die Piratenpartei stellte die Regierung. Der Vorsitzende der Piraten, Jens Seipenbusch, erklärt den Erfolg so: "Die etablierten Parteien haben ein methodisches Problem." Das Internet lasse sich nur schwer kontrollieren, das sei eben nichts für starre Parteihierarchien.

Der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli von der Universität Koblenz-Landau hat noch eine andere Erklärung: "Die Piratenpartei profitiert von einer verbreiteten Unzufriedenheit mit dem Parteiensystem überhaupt." Prognosen geben den Piraten dennoch höchstens zwei Prozent bei der Bundestagswahl.

Unzufriedenheit mit Parteien und Politikern sieht auch Spreng als eine Ursache dafür, dass der Wahlkampf im Internet verpufft. "Einen Obama-Wahlkampf gibt es nur mit Obama." Und was rät Thomas Gensemer, der den Online-Wahlkampf für Obama geführt hat und als Web-Wunderwaffe und digitaler Guru gilt, den Deutschen? "Die Menschen müssen das Gefühl bekommen, Teil des Wahlkampfteams zu sein." Das bringe sie dazu, andere zu mobilisieren. "Doch das mag ein schwieriger und beängstigender Gedanke für viele Politikstrategen sein."