Ein französischer TGV-Schnellzug startet am Tag nach den Pariser Terroranschlägen von Stuttgart in Richtung der französischen Hauptstadt. Die Fahrgäste treten ihre Reise mit gemischten Gefühlen an.

Stuttgart - Ganz in schwarz gekleidet, schleppt sich ein älteres Ehepaar zu Gleis 11 des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Ob sie Angehörige verloren haben? Womöglich. Die beiden sind am Samstag nicht zu Gesprächen aufgelegt, als um 16.55 Uhr mit dem TGV 9572 der einzige Zug von Stuttgart aus über Karlsruhe und Straßburg nach Paris fährt, wo am Vorabend mindestens 129 Menschen bei Attentaten gestorben waren, zu denen sich der sogenannte Islamische Staat bekannte.

Beinahe vor Angst gestorben war Silvia Schwarzer. Die 51-Jährige ist in Deutschland aufgewachsen, lebt aber heute auf einer kleinen französischen Karibikinsel. In Paris hat sie viele Freunde. Und wenn sie ihren Heimatort Bietigheim-Bissingen zweimal im Jahr besucht, reist sie dabei immer über die Drehscheibe Paris. Deshalb war sie bereits beim letzten Terrorakt in Frankreich, dem Angriff auf das Satiremagazin Charlie Hebdo, zeitgleich dort unterwegs.

Große Angst um die Tochter in Frankreich

„Ich halte das nicht mehr aus!“, sagt eine sichtlich mitgenommene Frau, „die Tochter meiner besten Freundin war im Stade de France, um sich das Fußballspiel anzugucken.“ Besonders belastend hätten die Angehörigen dabei gefunden, dass im Stadion der Funkverkehr zusammengebrochen ist, weil alle ihre Handys gleichzeitig nutzen wollten.

So ging es auch dem Schauspieler und Fotografen Jürgen Zwingel, der zeitweise in Paris und zeitweise in Erlangen lebt. „Ich konnte meine Tochter in Paris nicht erreichen, sie war bei dem Fußballspiel“, sagt er. Das hat ihm große Sorge bereitet. Aber nicht nur islamistischer Terrorismus macht Zwingel Angst. „Das ist doch ein gefundenes Fressen für die Pegida oder Leute wie Marine Le Pen von der Front National und andere Rechtsradikale“, befürchtet er. Dabei würden die Flüchtlinge ja genau vor denen fliehen, die jetzt auch in Europa für die Anschläge verantwortlich sind.

Im Elsaß sind bei einem Zugunglück fünf Menschen gestorben

Einige, die mit Schwarzer und Zwingel am Gleis stehen, sind französische Muttersprachler. Dunkelhäutige, Weiße und eine Muslima mit Kopftuch warten auf die Zugabfahrt. Alle eint die Trauer, nur ein junger Mann zeigt seine Wut und tritt mit Wucht gegen einen Stahlträger.

Pünktlich um 16.55 Uhr fährt der TGV 9572 direkt in den Sonnenuntergang hinein. Hoffentlich wird es eine gute Reise. Denn nicht nur die Gedanken an die Terroranschläge drücken auf die Stimmung. Im Elsaß sind bei einer TGV-Testfahrt noch fünf weitere Menschen ums Leben gekommen. Der TGV war, französischen Medienberichten zufolge, auf der Schnellfahrstrecke umgekippt und hatte Feuer gefangen. Ein terroristischer Hintergrund für das Zugunglück gilt als ausgeschlossen. Zumindest da.