Laura Hecquet ist die erste und einzige Ballerina, die Benjamin Millepied, seit 2014 Ballettdirektor der Pariser Oper, in den Rang eines Étoile beförderte. Im Interview spricht sie über die Zusammenarbeit mit dem „Black Swan“-Choreografen, der mit seinem Wunsch nach Erneuerung für zu viel Wirbel im Palais Garnier sorgte.
Paris -
Mademoiselle Hecquet, Ihre Fans schwärmen gerne über Ihren sehr französischen Stil. Freut Sie das?
Ja, das höre ich oft über mich. Ich kultiviere es aber nicht, besonders französisch wirken zu wollen. Das ist einfach meine Persönlichkeit, und wahrscheinlich auch mein Erscheinungsbild. Es freut mich natürlich, dass ich das französische Ideal verkörpern soll! Französisch, das bedeutet ja… chic. Auch königlich, mit Klasse. Ein bisschen wie am Hof Ludwigs XIV, wo das Ballett ja erfunden wurde.
Ist das französische Ballett nicht auch für seine Lebendigkeit und Schnelligkeit bekannt?
Unser Direktor Benjamin Millepied fordert uns immer zu mehr Tempo auf! Wir versuchen also, die Geschwindigkeit zu heben, ohne dabei die Sauberkeit der Technik zu vernachlässigen. Wir sind eindeutig nicht so schnell wie die amerikanischen Tänzer. Andererseits muss man auch irgendwo bei seinem eigenen Stil bleiben.
Ist die Kompanie traurig, dass Millepied geht?
Das ist unterschiedlich. Viele schätzten seine Veränderungsvorschläge, manche nicht. Fest steht, dass er Gutes gebracht hat. Vor ihm gab es beispielsweise keine medizinische Versorgung für die Tänzer, jeder musste bei Verletzungen selbst für Heilung sorgen. Jetzt stehen uns Ärzte, Ostheopathen und Masseure zur Verfügung. Endlich müssen wir nicht mehr nach anstrengenden Probentagen in alle Himmelsrichtungen spazieren.
War die Rollenverteilung mit ihm gerechter?
Die Rollenverteilung ist nie gerecht. Aber er hat jungen Tänzern eine Chance gegeben. Laut ihm kommt die Reife mit der Rolle, nicht durch warten. Wissen Sie, normalerweise wartet man an der Opéra viele Jahre auf die Ehre einer großen Rolle. Für Benjamin gibt es unter Talenten aber keine Hierarchie.
Millepied hat auch gerne Gasttänzer für Hauptrollen eingeladen. Stimmt es, dass das bei den Étoiles nicht gut angekommen ist?
Nein, wir haben gerne Gäste! Internationaler Austausch ist wichtig. Ich werde selbst ja auch gerne eingeladen und freue mich, dass das jetzt immer häufiger geschieht. In München habe ich zum Beispiel Friedemann Vogel getroffen, ein toller Künstler. Es ist nur ein wenig frustrierend, wenn Gäste eine ganze Serie tanzen, so wie Kimin Kim und Christina Shapran „La Bayadère“, wie es bei uns aufgrund von Verletzungen zustande gekommen ist. Wir tanzen selbst ja auch gerne.
In einem Interview mit dem „Figaro“ hat Benjamin Millepied indirekt das Niveau der Tänzer des Ballets de l’Opéra kritisiert. Wie kam das in der Kompanie an?
Dieses Interview hat ganz schön für Wirbel gesorgt. Wir haben diese Kritik nicht verstanden und uns doch sehr herabgesetzt gefühlt. Wir sind eine der besten Kompanien der Welt. Ich denke aber, dass er es nicht böse gemeint hat, sondern nur produktiv sein wollte. Auch dass er unsere Nurejew-Klassiker für überholt hält, hat einige Künstler vor den Kopf gestoßen. Es gibt viele Leute an der Oper, die von Nurejew gefördert wurden und geprägt sind. Rudolf Nurejew ist immer noch der Meister des Ballets de l’Opéra und wird es noch lange bleiben.
Kann man die großen Klassiker überhaupt neu interpretieren und ist ein neuer französischer Klassikstil nötig?
Betrachtet man Alexej Ratmansky, funktioniert die Erneuerung von Klassikern sehr gut. Ich verehre ihn und hatte diese Saison auch das Glück, mit ihm zu arbeiten. Aber wenn man sich darüber hinaus umsieht, gibt es doch nirgends eine gültige neue „Giselle“ oder „Sylphide“. Klassisch bleiben, aber moderne Erwartungen erfüllen, ist ein schwieriges Unterfangen.
Haben Sie eine Idee, warum Millepied im Februar so Hals über Kopf seinen Abschied eingereicht hat?
Ich denke, er wollte alles zu schnell verbessern. Die Opéra ist eine sehr alte Institution, in der alles sehr langsam geht. Zudem ist er ein Praktiker, der gerne im Studio steht, choreografiert und mit Tänzern zusammen ist. So jemand wird unglücklich, wenn es nicht läuft wie geplant. Wir respektieren seine Entscheidung.
Was erwartet die Kompanie nun von Aurélie Dupont, die ab September die Ballettdirektion übernimmt?
Aurélie Dupont ist einer der letzten großen Superstars des Balletts. Sie ist durch und durch ein Gewächs der Oper. Es ist gut, dass nun jemand die Leitung übernimmt, der so erfahren ist. Sie ist klassisch geprägt, wird sicher die großen Handlungsballette wieder auf den Spielplan setzen, was viele freut. Sie hat aber auch ein bemerkenswertes Talent für moderne Choreografien. Diese moderne Note ist wichtig für uns Tänzer! Sie liebt die Oper und hat jedermanns Respekt. Sie gibt der Kompanie Sicherheit.
Was wünschen Sie und Ihre Kollegen sich für die Zukunft am meisten?
Wir wünschen uns jemanden, der an uns glaubt. Der uns tanzen lässt, und der versteht, wer wir sind. Und der die Werte des französischen Tanzes kennt.