Linn Kazmaier (re.) mit ihrem Guide Florian Baumann. Foto: dpa/Jens Büttner

Sie träumte von einer Medaille – in der Zukunft. Nun hat die erst 15-jährige Linn Kazmaier schon bei diesen Paralympics Silber gewonnen. Darüber freut man sich auch im Kreis Esslingen.

Peking/Stuttgart - Weil überraschende Erfolge mitunter ja die schönsten sind, war die Freude riesengroß. In Peking, wo Linn Kazmaier im Zielraum immer wieder ausgelassen in die Höhe hüpfte. Und in Köngen und Oberlenningen (Kreis Esslingen), wo die Familie der Sportlerin am frühen Samstagmorgen die sportliche Sensation der Tochter und Enkelin bejubelten. Im Biathlon-Sprint der paralympischen Spiele in Peking holte die sehbehinderte Linn Kazmaier Silber – warum dies eine so große Überraschung war, belegen einige Zahlen ganz gut.

Lediglich als 16. der aktuellen Weltrangliste war die Biathletin und Langläuferin nach China gereist. Und das im Alter von gerade einmal 15 Jahren und vier Monaten. „Was steckt in diesem Mädchen für eine Kraft, ein Wille und auch ein Naturtalent“, jubelte daher Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), „ich dachte, das kann doch nicht wahr sein.“ Das dachten sie in der Heimat auch.

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In Köngen war Brigitte Wisst, die Oma früh aufgestanden, in Oberlenningen verfolgten die Eltern von Linn Kazmaier die Liveübertragung im Internet. Und als sich abzeichnete, welch Husarenstück ihrer Linn da gerade gelang, glühten die Drähte zwischen den rund 20 Kilometer voneinander entfernten Ortschaften. „Die Linn“, sagte später Brigitte Wisst, „war doch schon glücklich, überhaupt dabei sein zu können.“ Doch dann nutzte sie die Gunst der Stunde.

Gleich sieben Russinnen schaffen es für gewöhnlich unter die besten Zehn bei den Biathlon-Wettbewerben der Weltelite. Durch den Ausschluss der russischen Sportlerinnen und Sportler fehlte diese Konkurrenz – und Linn Kazmaier war zusammen mit ihrem Guide Florian Baumann voll da, als es galt, diese Chance am Schopfe zu packen. Wie auch Leonie Walter mit Pirmin Strecker, das Duo landete auf Rang drei. Auch Walter gehört mit ihren gerade einmal 18 Jahren noch zu den Talenten im deutschen Team.

Von Geburt an sehbehindert

Linn Kazmaier ist die jüngste deutsche Teilnehmerin bei den Paralympics in Peking – entsprechend sahen ihre eigenen Erwartungen eine Medaille in diesem Jahr noch gar nicht vor. Zwar habe sie von einer Medaille geträumt, sagte sie, „aber nicht, dass es jetzt klappt – sondern irgendwann mal mit 20 oder so“. Doch mit nur einem Schießfehler und einer richtig starken Leistung in der Loipe überraschte sie sich dann selbst. „Ich freue mich total“, jubelte die 15-Jährige, „aber ich kann es noch gar nicht so richtig glauben.“

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Von Geburt an leidet Linn Kazmaier an einer Zapfendystrophie und einem Nystagmus, was bedeutet, dass sie nur verschwommene, wackelige Bilder sehen kann. Zudem muss sie nahezu ständig eine Sonnenbrille tragen, sonst wirkt für sie alles, als starre sie auf einen Gletscher im gleißenden Sonnenlicht. „Wie sie trotzdem alles meistert, ist schon toll“, sagte Brigitte Wisst über ihre Enkelin, die auch als Leichtathletin aktiv ist. Vor rund sieben Jahren entdeckte Linn Kazmaier den nordischen Wintersport für sich. Bei einem Schnupperlehrgang im Schwarzwald fing sie Feuer, war danach so aufgekratzt, „dass ich die ganzen zweieinhalb Stunden Heimfahrt durchgequasselt habe“. Nachwuchscoach Markus Huhn meinte indes: „Linn ist sofort aufgefallen, weil sie trotz ihrer Sehbehinderung ohne Angst vor schwierigen Sachen aufgetreten ist.“ Sie überredete ihre Eltern, ihr eine Langlaufausrüstung zu kaufen – und bald war klar, was Friedhelm Julius Beucher nun in Peking noch einmal bestätigte: „Da wächst ein Riesentalent heran.“ Das mittlerweile in Freiburg lebt und trainiert.

Mit dem Zug in die Heimat

Seit September 2021 besucht sie dort das Sportinternat, immer wieder mal pendelt sie nach Hause nach Oberlenningen – ab und an alleine und mit dem Zug. „Dafür kann man sie nur bewundern“, findet Oma Brigitte Wisst. In Freiburg will Linn Kazmaier in den kommenden Jahren weiter „an Kraft zulegen“ – schon in den Tagen von Peking könnte es jedoch mit weiteren Medaillen klappen. Am frühen Montagmorgen steht sie im 15-Kilometer-Langlaufrennen am Start. Und in Köngen und Oberlenningen wurde wieder mitgezittert.