Stimmauszählung am vergangenen Sonntag in Berlin – die zahlreichen Pannen werden aller Voraussicht nach nicht ohne Konsequenzen bleiben. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

OSZE-Wahlbeobachter ruft zu Klagen derer auf, die Sonntag an der Stimmabgabe gehindert waren. Ein früherer Bundesverfassungsrichter verweist auf Möglichkeit, dass am Ende Karlsruhe entscheiden muss.

Berlin - Nach dem Bekanntwerden immer neuer Unregelmäßigkeiten am vergangenen Wahlsonntag in Berlin werden die Rufe nach Konsequenzen immer lauter. „Wahlmängel dieser Art hätten mich als OSZE-Wahlbeobachter in EU-Beitrittskandidatenländern wie etwa Serbien zur Frage veranlasst, ob die Verwaltung des betroffenen Landes zur Durchführung demokratischer Wahlen imstande ist“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Link, der für die Organisation zuletzt die rechtlich umkämpften US-Wahlen zu bewerten hatte, unserer Zeitung: „Die Fehler in der Bundeshauptstadt müssen nicht nur ein parlamentarisches, sondern auch ein juristisches Nachspiel haben.“ Er könne „all jene, die nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen konnten oder durch die Zustände in den Wahllokalen vom Wählen abgehalten wurden, nur zu einer Klage ermuntern“.

Der CDU-Rechtspolitiker Thorsten Frei sieht „ein staatspolitisches Desaster“, das zeige, „dass Berlin unter Rot-Grün-Rot zur ,failed Stadt‘ geworden“ sei. „Menschen konnten ihre Stimme nicht abgeben, ältere Menschen und Eltern mit Kindern gaben angesichts langer Wartezeiten auf, Stimmzettel gingen aus oder wurden vertauscht.“

„Subjektive Wahlrechte verletzt“

Der frühere Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein teilt die Einschätzung, dass die Vorkommnisse gravierend sind. „Es scheint offensichtlich, dass subjektive Wahlrechte verletzt wurden.“ Ob dies Einfluss auf die Zusammensetzung der Parlamente hatte, sei aber eine andere Frage, letztlich komme es darauf an, wie knapp Ergebnisse in einzelnen Wahlkreisen waren.

Der Wahlrechtsexperte Christian Waldhoff, Professor an der Humboldt-Universität, fordert die Berliner Politik zum Handeln auf: „Die Aufklärung der Vorkommnisse bei der Wahl muss in Berlin zur Chefsache erklärt werden.“ So müsse der zuständige Innensenator beispielsweise alle Verantwortlichen am Runden Tisch versammeln. Auch die Bundesregierung verlangt eine gründliche Untersuchung.

„Das Wahlrecht ist das höchste demokratische Gut und sehr sensibel“, betonte der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner: „Deswegen müssen wir durchaus genau hinschauen, was hier schiefgelaufen ist und vor allem was wir zukünftig besser machen müssen.“ FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sagte: „Die Wahlpannen in Berlin demonstrieren, wie notwendig eine Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung ist.“

Erst müsste der Bundestag, dann Karlsruhe entscheiden

Die Satire-Partei Die Partei bereitet nach eigenen Angaben eine Wahlprüfungsbeschwerde vor. Bezüglich der Abgeordnetenhauswahl wäre das Berliner Landesverfassungsgericht final zuständig, in Bezug auf die Bundestagswahl das Bundesverfassungsgericht. „Die Wahlmängel in Berlin könnten in Karlsruhe landen – aber nur wenn sie das Ergebnis der Bundestagswahl verfälscht hätten, der Bundestag als erste Wahlprüfungsinstanz Beschwerden abwiese und vor dem Bundesverfassungsgericht gegen diese Entscheidung geklagt würde“, so Ex-Richter Klein weiter.

In der Zwischenzeit wäre der Bundestag ihm zufolge voll arbeitsfähig und legitimiert: „Auch im noch nie vorgekommenen Extremfall würde Karlsruhe die Wahl nicht rückwirkend für ungültig erklären, sondern eine Neuwahl in naher Zukunft anordnen.“ Im Regelfall führten ergebnisrelevante Probleme „allenfalls zur Wiederholungswahl dort, wo der Fehler passiert ist“.