„Starke Typen“ heißt die neue Palazzo-Show von Harald Wohlfahrt... Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Drei Tage nach seinem 60. Geburtstag hat Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt das Dutzend im Palazzo auf dem Wasen vollgemacht. „Das Leben ist zu kurz“, sagt er, „um nicht den schönen Momenten zu frönen.“ Klassisch ist die zwölfte Schlemmer-Show im Spiegel­palast, aber auch jung – rundum stark.

Stuttgart - Es ist nicht so, dass man sich beeilen müsste, um noch einmal ein Menü von Harald Wohlfahrt im Dinner-Zelt auf dem Cannstatter Wasen genießen zu können. Am vergangenen Samstag ist Deutschlands bester Koch, dem seit bald einem Vierteljahrhundert drei Michelin-Sterne sicher sind, 60 geworden – doch an Rente denkt er noch lange nicht. Der Kollege Paul Bocuse in Paris, sagt Wohlfahrt, sei doch schon 89: „Und er schreitet immer noch mit seinem Rollator staatsmännisch durch die Küche.“

Das Staatsmännische ist dem Maître aus dem Schwarzwald fremd, aber auch das Glamouröse und die übermäßige Fröhlichkeit. Wenn er in seinem weißen Kochkittel die Palazzo-Bühne betritt, spürt jeder, dass dies nicht sein Lieblingsplatz ist. Bescheiden, bodenständig und doch über alle Maßen perfekt – das macht Wohlfahrt so beliebt, also zu einem starken Typen. Um die geht es in der neuen Show, die mit dem Titel „Starke Typen“ bis zum 13. März in einem neu geschaffenen Zelt gespielt wird, das mit rotem Stoff und funkelnden Lichtern der Eleganz der mobilen Tanzpavillons nachempfunden ist, die zur vorletzten Jahrhundertwende von Stadt zu Stadt gezogen sind.

Die Zwillinge steppen auf einem Gästetisch

Ein Zwilling kommt selten allein. Mit dieser Erkenntnis begnügt man sich im Palazzo nicht, das am Dienstagabend Premiere der zwölften Spielzeit in Stuttgart mit Ehrengästen wie dem früheren VfB-Profi Hansi Müller, der Band Fools Garden, der Boxerin Alesia Graf, dem früheren Fecht-Star Alexander Pusch, dem Trainer Arie Haan und Designer Tobias Siewert gefeiert hat, sondern will sie noch weiter steigern. Zweimal zwei ist – maaagic! Die auf einem Gästetisch steppenden Zwillinge Roman und Slava aus der Ukraine treffen auf die ebenfalls eineiigen, am Trapez verschlungenen Zwillinge Julia und Ele aus Hessen.

Wie im Dinner-Zelt üblich, sind die Artisten nicht nur für ihr Kunststück gebucht – sie müssen mehr beherrschen als eine Weltklasse-Nummer. Sie müssen auch Kellner, Pausenclown, Nummerngirl und Stichwortgeber sein. In der Parade der starken Typen wird ganz besonders auf Vielfalt gesetzt.

Denn Regisseur Karl-Heinz Helmschrot, ein Vertreter des modernen Varietés, hat auf einen roten Faden verzichtet, etwa auf ein Spielcasino oder Hotelfoyer, in denen Dinner-Shows gern spielen. Dies wirkte mitunter erzwungen. Jetzt mag es zunächst befremdlich sein, wenn nicht auf Anhieb zu erkennen ist, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Rasch aber spürt das Publikum, wie harmonisch die Darbietungen etwa mit dem nach Meister Proper aussehenden Glatzkopf-Entertainer Kai Eikermann (manche kennen ihn aus „Supertalent“ und „Wer wird Millionär?“) und dem Beatboxer Camero ineinandergreifen. Zwischendurch haben alle orangefarbene Bauarbeiter-Kittel an. Willkommen in der Baustellen-Metropole Stuttgart! Für die hat Regisseur Helmschrot das Programm konzipiert – seine Auftraggeber wollen nicht mehr wie früher eine Show kopieren, die sich bereits andernorts bewährt hat. Der Stuttgarter Markt ist für das Palazzo zu wichtig, um nicht was Eigenes zu erschaffen. Getragen wird die kontrastreiche Nummernrevue von den Rhythmen einer coolen Zirkusband der Zukunft, von den jungen Sidewalkers. Die vier Musiker bleiben mit ihrer wunderbaren Sängerin Bella Nugent unaufdringlich, als wollten sie dem ewigen Spitzenplatz des Abends – dem Vier-Gänge-Menü von Harald Wohlfahrt – nicht die Schau stehlen.

Lackierte Entenbrust als Hauptgang

Außer für Stuttgart hat sich der nun 60-Jährige das Menü im Zeichen der Ente auch für das Palazzo in Mannheim ausgedacht. Seine lackierte Entenbrust mit Tannenhonig und schwarzem Pfeffer auf karamellisiertem Rotkohl, kleinen Topfenknödeln und Kardamom-Soße ist außen knusprig, innen butterweich. Perfekt! Für Vegetarier gibt es Bandnudeln mit schwarzem Trüffel. Der erste Gang ist eine Eismeerforelle, als Zwischengang kann bei der Paprikaschaumsuppe mit Jakobsmuscheln am Tisch aus der großen Schüssel nachgeschöpft werden. Am Ende nach drei Stunden werden Hasselnuss-Parfait und Frucht-Sorbet serviert.

Travestie-Lady Frl. Wommy Wonder schwärmt von einer ganz besonderen Genusswoche. Am Tag nach dem Palazzo folgt die Premiere des Musicals „Rocky“, am Donnerstag darf sie beim 75. Geburtstag ihrer Mutter reinhauen. „Und am Freitag geh’ ich zum Fettabsaugen“, sagt Wommy.

Was man mit einem Bauch machen kann, führt „Meister Proper“ vor. In den 1980ern war der Berliner mit Haaren ein führender Breakdancer. Noch immer dreht er seine Kreise auf dem Boden, auch wenn er danach sagt: „Ich bin zu alt für diesen Scheiß.“

Zu alt für Genüsse im Spiegelpalast mit dem Menü von Maître Perfekt ist man nie. Es lohnt, auch mit Rollator wie Bocuse zu kommen, um starke Momente zu erleben.