Aus unserem Plus-Angebot: Oft merkt ein Paar nicht, dass sich eine Krise wie ein Geschwür im gemeinsamen Leben eingenistet hat. Was kann man tun, um die Beziehung zu retten?
Stuttgart - Die Beziehung hatte voller Hoffnung auf eine gute gemeinsame Zeit begonnen. Doch aus der Freude aneinander sind Desinteresse und Ablehnung geworden. Längst redet das Paar nur noch über Belanglosigkeiten – doch selbst die beinhalten überraschend Zündstoff. So geht man sich aus dem Weg, auch im Bett. Lesen Sie hier aus unserem Plus-Angebot: So hält die Beziehung trotz Corona-Stress
Oft merkt ein Paar nicht, dass sich eine Krise wie ein Geschwür im gemeinsamen Leben eingenistet hat. Doch mit der Krise wachsen das Gefühl der Einsamkeit und die Wut auf den Partner bei fast allem, was er tut und nicht tut. „Nachlassende Wertschätzung des Partners, Sticheleien und sarkastische Bemerkungen sind typische Alarmzeichen für einen schlechten Zustand der Beziehung“, sagt der Stuttgarter Diplom-Psychologe und Paartherapeut Oliviero Lombardi. „In der Regel werden Kränkungen allerdings erst mal hingenommen. Man will sich ja nicht vorwerfen lassen, alles auf die Goldwaage zu legen.“
Was nicht wertgeschätzt wird, verliert an Wert
Doch auf diese Weise lässt sich die Krise nicht verhindern. „Stattdessen nehmen die – meist gegenseitigen – Abwertungen zu. Und so ist es kein Wunder, dass die Attraktivität des Partners in den Augen des jeweils anderen nachlässt“, sagt Oliviero Lombardi. Denn was nicht wertgeschätzt wird, verliert an Wert. Anders ausgedrückt: Wer eher negative als positive Rückmeldung bekommt, beginnt, sich selbst als unattraktiv wahrzunehmen, und verliert tatsächlich an Ausstrahlung.
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Dass die Krise längst da ist, merken die Partner oft erst, wenn für mindestens einen der beiden die Schmerzen unerträglich werden. Nach einem großen Gefühlsausbruch stehen dann zwei Menschen erschüttert vor dem, was mal schön war und jetzt kaum noch tragfähig erscheint. Denn die Partnerschaft hat tiefe Risse bekommen. Jetzt steht das vertraute Leben auf dem Spiel. „Folgt die Trennung? Oder gelingt es, uns wieder zusammenzuraufen?“ Welche Paare haben die besten Prognosen? „Diejenigen, die in einer frühen Phase der Auseinandersetzungen kommen! Zu diesem Zeitpunkt überwuchern die Negativspiralen und gegenseitigen Verletzungen noch nicht die ganze Beziehung“, weiß der Zürcher Paartherapeut Raimondo Lettieri, Fachpsychologe für Psychotherapie und Kinder- und Jugendpsychologie.
Wenn eine Beziehung scheitert, fehlt die gemeinsame „Quality Time“
Die Fehler, die zur Krise führen, sind fast immer gleich. Wenn eine Beziehung scheitert, hat immer die gemeinsame „Quality-Time“ gefehlt. Mit „Quality- Time“ sei nicht die Zeit gemeint, in der das Paar in Jogginghosen auf dem Sofa mit Chips abhängt, so Oliviero Lombardi. Quality-Time „ist gemeinsam verbrachte Zeit, in der sich die Partner als interessant erleben“. Sie bringe Paare in den Flow – einen glücklichen Zustand, in dem gemeinsam verbrachte Zeit wie im Flug vergeht.
Die meisten Paare in der Krise haben sich zwar um die Kinder und um die Karriere, aber nicht um sich gekümmert. Sie haben zugelassen, dass Routine und Verpflichtungen die anfängliche Euphorie, Romantik und Erotik abgelöst haben. „Es klingt banal, doch Stress ist ein wesentlicher Grund für Partnerschaftskonflikte und Trennungen“, so die Stuttgarter Paartherapeutin Brigitte Höfer. Wer kaum Zeit zum Luftholen hat, kann dem anderen nicht zeigen, was er einem wert ist. Doch ohne Pflege geht eine Beziehung in der Regel zwangsläufig in die Brüche – was so profan klingt, ist in Wahrheit elementar.
In der Krise befindet sich das Paar im Teufelskreis
Gegenseitige Wertschätzung, Respekt, Interesse und Liebe bleiben dann auf der Strecke. Dazu kommt meist eine Kommunikation, die Streit nicht löst, sondern anheizt. „Immer vergisst du . . .“ – „Kannst du denn nicht wenigstens einmal . . .?“ – „Du bist so . . .“ Das sind Sätze, die verletzen.
In der Krise befindet sich das Paar im Teufelskreis. Die Partner kämpfen gegeneinander, nicht füreinander. Paartherapie kann besonders schnell die negative Dynamik durchbrechen. Doch was tun, wenn der Partner sich nicht auf eine Paartherapie einlassen will? Zum Glück lässt sich auch allein viel bewirken.
„Derjenige, der aktiv werden möchte – meist ist es die Frau –, kann im Rahmen einer Psychotherapie lernen, beim alten Spiel nicht mehr mitzumachen. Sie wird dann versuchen, sich nicht mehr provozieren zu lassen. Wenn es ihr gelingt, grundsätzlich stur und stabil bei einer wertschätzenden Kommunikation zu bleiben, kommt ihr Partner mit destruktivem Verhalten nicht mehr durch“, erklärt Lombardi. Aus seiner Berufserfahrung heraus schätzt er die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Partner sein Verhalten ändert, auf etwa 85 Prozent. „Er wird den positiven Willen der Partnerin erkennen und anerkennen.“
Vor einer neuen Krise ist man nicht geschützt
Mehr Wertschätzung und Quality-Time allein reichen aber nicht aus, um gemeinsam wieder Hand in Hand durchs Leben zu gehen. Denn noch schmerzen die Verletzungen aus der Vergangenheit, vor allem dann, wenn der Partner fremdgegangen ist. In der Paartherapie wird deshalb gefragt: „Was brauchen Sie, um neues Vertrauen zu entwickeln? Um verzeihen zu können?“ Antworten fallen unterschiedlich aus. Eine Antwort kann zum Beispiel so lauten: „Ich brauche eine ernsthafte und aus tiefem Herzen kommende Entschuldigung.“
Auch nach einer überstandenen Krise ist ein Paar vor einer neuen Krise nicht geschützt. Krisen sind üblich und sogar zu erwarten – aufgrund der persönlichen Probleme, die jeder Partner mit in die Beziehung bringt. Jetzt aber sind die Warnzeichen bekannt – so lässt sich schneller und vielleicht auch leichter reagieren. Angenommen, ein Streit beginnt – weil ER zum Beispiel den Abend mit Freunden verbringen will. „Du kannst auch mal die Kinder ins Bett bringen. Du willst hier einfach keine Verantwortung übernehmen.“ – „Dein ewiges Genörgel kann ich echt nicht mehr hören . . .“ Jetzt ist es wichtig, die Bremse zu ziehen! „Wie reden wir gerade?“, kann einer der beiden sagen, oder: „Ich merke, ich werde gerade richtig wütend. Was wollen wir tun?“ So beschäftigt sich das Paar nicht mehr mit dem ursprünglichen Streitthema. Oliviero Lombardi: „Jetzt spricht es über das, worum es im Kern wohl bei jedem Streit geht: über den mangelnden Respekt, der sich in verletzenden Worten ausdrückt, und über den tiefen Wunsch nach Zuwendung, Wertschätzung, Respekt und Unterstützung.“ Und genau das kann die Partner ganz nah zueinander führen.