Mit gezielter Gymnastik können auch poröse Knochen wieder aufgebaut werden Foto: dpa

Knochen brauchen Kalzium, damit sie den Körper stabilisieren können. Doch die scheinbar so festen Knochen können instabil werden. Experten erklären, wie man sich vor Knochenschwund schützen kann.

Stuttgart/Hamburg - Der Teppich lag schon immer im Wohnzimmer. Hunderte Mal hat man ihn auf dem Weg in die Küche überquert. Doch auf einmal wird er zur Stolperfalle. Ein kleiner Sturz mit großen Folgen: In der Klinik wird ein Oberschenkelhalsbruch diagnostiziert. Und dabei bleibt es nicht: „Erst wenn es zu einer Fraktur kommt, wird bei genauem Hinschauen die Krankheit Osteoporose festgestellt“, sagt Wolfgang Böcker, Unfallchirurg und Leiter der Arbeitsgemeinschaft Osteologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie.

Bei Osteoporose schwindet die Knochendichte. Die Knochen können ihrer Funktion, den Körper zu stabilisieren, nicht mehr nachkommen. Im Alter von 18 bis 20 Jahren erreichen Frauen und Männer die maximale Knochendichte. Dann nimmt die Dichte ab, bei Frauen mehr als bei Männern. Trotzdem ist Osteoporose keine Frauenkrankheit. Männer sind gleich stark betroffen, sie tritt bei ihnen nur rund zehn Jahre später auf. Das Tückische: „Die Patienten merken davon zunächst nichts. Denn es tut nicht weh – bis der Knochen bricht“, sagt Böcker.

Obwohl nach Schätzungen des „Deutschen Ärzteblatts International“ in Deutschland 6,3 Millionen Menschen an der Krankheit leiden, wird häufig nach einem Knochenbruch nicht genauer hingesehen. „Bei den meisten wird nur der Bruch versorgt. Weniger als ein Drittel bekommen die Diagnose Osteoporose“, sagt Böcker.

Milchprodukte, Kohl, Mineralwasser, Vollkornbrot

Größte Risikofaktoren für den Knochenschwund sind Kalzium- und Vitamin-D-Mangel. Kalzium wird in den Knochen gespeichert. Die wichtigsten Quellen sind Milch, Käse und Joghurt. „Mit der Nahrung sollte man 1000 bis 1500 Milligramm am Tag zu sich nehmen“, sagt Michael Amling, Direktor des Instituts des Lehrstuhls für Osteologie am Universitätsklinikum Hamburg. Bereits mit 250 Milliliter Milch und 50 bis 60 Gramm Emmentaler Käse ist diese Menge erreicht. Auch Grünkohl, Brokkoli, Kresse und Mineralwasser und Vollkornbrot enthalten den Mineralstoff. „Wer keine Ernährungs- oder Essstörung hat, braucht keine Kalziumtabletten zu nehmen“, sagt Amling. Menschen mit einer Laktose-Intoleranz, also einer Milchzuckerunverträglichkeit, können versuchen sich über andere Lebensmittel genug Kalzium zuzuführen. Die Internationale Osteoporose-Gesellschaft (IFO) empfiehlt, zusätzlich Mandeln, Sesam oder Sojabohnen zu essen. Kaffee- und Teeliebhaber, die Sorge haben, dass ihr Lieblingsgetränk ein Kalziumräuber sein könnte, beruhigt Amling: „Solange alles im normalen Rahmen bleibt, kann man beruhigt Kaffee trinken.“ Raucher dagegen müssen aufpassen: „Nikotin ist schlimmer“, sagt Unfallchirurg Böcker.

Damit jedoch das Kalzium ins Blut gelangen kann, ist ein Hormon ganz wichtig. „Vitamin D ist für den Knochenstoffwechsel essenziell. Ohne das Hormon kann Kalzium nicht ins Blut aufgenommen werden“, sagt Osteoporose-Experte Amling. Wer niedrige Vitamin-D-Werte im Blut hat, hat ein erhöhtes Risiko für einen Schenkelhalsbruch.

Also einfach mehr Vitamin D zu sich nehmen. Das ist aber nicht so einfach. Vitamin D wird in der Haut produziert. Dafür ist eine ausreichende Sonneneinstrahlung notwendig. Doch die UV-Strahlung reicht in Deutschland nicht aus, um einen Vitamin-D-Mangel zu verhindern. Erst ab dem 37. Breitengrad, zum Beispiel in Athen oder San Francisco, wird man ganzjährig ausreichend durch die UV-Strahlung versorgt.

60 Prozent der Erwachsenen könnten Mangel haben

Der Osteologe Michael Amling geht davon aus, dass 60 Prozent der Erwachsenen an einem Mangel leiden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, pro Tag 20 Mikrogramm an Vitamin D zu sich zu nehmen. Doch das ist eine kulinarische Herausforderung: „Pro Tag müsste man zwei bis drei Heringe, drei Kilo Käse, 16 Eier essen oder 24 Liter Milch trinken“, sagt Amling. Bei normalen Essgewohnheiten werden maximal zwei bis vier Mikrogramm aufgenommen. Amling empfiehlt aber trotzdem nicht pauschal, Vitamin-D-Tabletten zu nehmen. „Beim Arzt sollte abgeklärt werden, ob das nötig ist und ob Erkrankungen dagegensprechen.“ Pflegebedürftige Menschen erhalten bereits Kombinationsmedikamente. „Kalzium und Vitamin D müssen sich die Waage halten“, sagt er.

Bei der Aufnahme von Kalzium kann es aber noch zu einem anderen Problem kommen: In einer Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, hat Amling herausgefunden, dass viele Menschen Kalzium nicht gut verwerten können. Schuld sind häufig Medikamente gegen Sodbrennen. Rund acht Millionen Menschen nehmen solche Magensäure-Blocker ein. „Die Magensäure wird benötigt, um die Struktur des Kalziumkarbonats zu knacken, damit der Körper es aufnehmen kann“, sagt er. Kalziumkarbonat ist umgangssprachlich als Kalk bekannt. „Auch Menschen, die den Magen entfernt bekommen haben, leiden unter porösen Knochen“, sagt Amling.

Die Lösung ist eine andere Kalzium-Verbindung. „Kalzium-Glukonat, das Kalziumsalz der Gluconsäure, und Kalziumcitrat, das Kalziumsalz der Zitronensäure, können auch ohne Magensäure vom Körper aufgenommen werden“, sagt Amling. Allerdings enthalten nur wenige Kalziumpräparate aus der Apotheke und kein Kombinationsmedikament aus Vitamin D und Kalzium diese Verbindungen. „Spezialisierte Osteologen kennen den Zusammenhang zwischen Magensäure und Kalzium. Viele Ärzte wissen es aber nicht“, sagt er.

Mit Hilfe solcher Präparate kann dem Knochenschwund noch entgegengewirkt werden: „Die Knochendichte kann wieder erhöht werden“, sagt der Unfallchirurg Böcker. Zurzeit werden Medikamente in der klinischen Studie getestet, die Kalzium und Vitamin D enthalten und eine optimale Therapie ermöglichen sollen.

Neben der Therapie mit Medikamenten ist aber auch Bewegung für den Knochenaufbau wichtig. „Studien mit Menschen, die wochenlang im Bett liegen mussten, zeigen, dass die Knochendichte abnimmt“, sagt er. In den speziellen Sportkursen für Osteoporose-Patienten lernen Betroffene, ihre Muskel-Koordination zu stärken, um wieder sicher zu gehen. Dann ist auch die Teppichkante keine Stolperfalle mehr.