Die Kutte mit dem stiliserten Kopf eines mittelalterlichen, osmanischen Kämpfers gilt den Mitglieder des Osmanen Germania Boxclubs als heilig. Foto: dpa

Der Richter im Verfahren gegen acht Mitglieder des Osmanen Germania Boxclubs mahnt deren Verteidiger, ihre Handys nicht den Angeklagten zu geben. Im Prozess schilderte ein Zeuge den Aufbau des Stuttgarter Ablegers der rockerähnlichen Gruppe.

Stuttgart - Verteidiger der angeklagten acht Mitglieder der rockerähnlichen Gruppe Osmanen Germania Boxclub haben offenbar versucht, ihren inhaftierten Mandanten Kontakt zur Außenwelt zu ermöglichen. Der Vorsitzende Richter der verhandelnden Kammer des Stuttgarter Landgerichtes ermahnte die Juristen deshalb während des Prozesses in dieser Woche: „Ich wäre nicht amüsiert, wenn die Herren Verteidiger den Angeklagten unter der Bank ihre Mobiltelefone zur Verfügung stellten.“ Sollte sich dies konkret nachweisen lassen, müsse er über entsprechende Maßnahmen nachdenken, sagte Richter Joachim Holzhausen.

In den Zeugenvernehmungen dieser Woche standen erneut die brutalen Strafmaßnahmen gegen Männer im Mittelpunkt, die die Osmanen Germania verlassen wollten. Zugleich machte ein Zeuge detaillierte Angaben zur streng hierachischen Struktur des Stuttgarter Ablegers des vermeintlichen Boxclubs.

Präsident

Er steht an der Spitze der Chapter genannten Gruppe. Er ist Repräsentant der Ortsgruppe, über deren Handeln er alleine entscheidet. In Stuttgart übte diese Funktion Levent Uzundal aus, der zu den Angeklagten im aktuellen Strafverfahren gehört. Seit 1998 ist er 18-mal gerichtlich aktenkundig geworden. In Baden-Württemberg ist er zudem in 30 Fällen polizeilich erfasst worden. Der 35-Jährige ist vor allem wegen Gewaltdelikten, aber auch wegen Urkundenfälschung, Betrug sowie des Handelns mit Doppingmittel aufgefallen. So hat Uzundal zwei Mal Frauen geschlagen, eine davon ist seine Freundin. Sie soll jetzt mit dem türkischen Staatsbürger verlobt sein, so dass sie im aktuellen Verfahren nicht gegen den Stuttgarter Präsidenten aussagen muss. In der allen Regionalgruppen vorgesetzten Weltorganisation, dem sogenannten World-Chapter, war Uzundal zudem Sergeant at Arms.

Vizepräsident

Der ständige Vertreter des Präsidenten besitz dieselben Rechte und Pflichten wie dieser. Die Funktion hatte im Stuttgarter Chapter Mustafa Kilinc inne, der sich ins türkische Izmir abgesetzt hat. Er soll sich nach den Aussagen der Zeugen besonders brutal an den Strafaktionen für Aussteiger beteiligt haben. Kilinc’ Vorgänger war Ahmet Berk, der seit Ende 2016 den neu gegründeten Nagolder Ableger der Osmanen leitet.

Sergeant at Arms

Der Waffenmeister der Gruppe sorgt vor allem dafür, dass die selbst gegebenen Regeln des World-Chapters sowie der jeweiligen Untergruppe eingehalten werden. Zudem ist er dafür verantwortlich, dass die Anordnungen des Präsidenten in dessen Sinne ausgeführt werden. Der Sergeant at Arms ist dafür zuständig, wenn Gewalt sowohl innerhalb einer Gruppe wie auch nach außen gegen andere Gruppen oder Dritte ausgeübt werden soll. Dazu verwaltet er die Waffen der jeweiligen Sektion. Im World-Chapter der Osmanen war diese Funktion mindestens zweimal besetzt. Außer Uzundal nahm auch Gökhan Balaban diese Aufgabe wahr. In Stuttgart nahm diese Funktion Toni Wörz wahr, der seit seiner Verhaftung im vergangenen Jahr 2017 in Untersuchungshaft sitzt und ebenfalls zu den acht Angeklagten Osmanen im aktuellen Verfahren gehört. Der ebenfalls in Stuttgart angeklagte Robin Ott hatte diese Funktion in der Wuppertaler Sektion der Osmanen inne.

Secretary

Der Sekretär verantwortet alle Verwaltungsangelegenheiten der Gruppe. Besonders ist er dafür verantwortlich, dass die Abgaben wie Mitgliedsbeiträge oder Strafgelder eingetrieben werden. In Stuttgart gab Orhan Kimit, der Cousin Uzundals, den Sekretär. Er hat sich seiner Festnahme dadurch entzogen, dass er in die Türkei floh.

Member

Die einfachen Mitglieder sind den Führungskadern der Osmanen hierarchisch untergeordnet. Sie sind vollwertige Mitglieder der Gruppe. Sie geloben ihren Anführern bedingungslose Treue. Im aktuellen Verfahren des Stuttgarter Landgerichtes sind die beiden Angeklagten Ali S. und Antonio S. einfache Member.

Hänger

Anwärter auf eine Vollmitgliedschaft bei den Osmanen werden auch Hangarounds und Prospect genannt. Sie haben die Anweisungen aller in der Hierarchie vor ihnen stehenden bedingungslos zu folgen. Andernfalls – so die Aussagen der Zeugen – würden sie bestraft werden. Bewähren sich die Hänger, dann wird ihnen feierlich die allen Mitgliedern der Osmanen Germania heilige Kutte mit dem Bild des Kopfes eines mittelalterlichen osmanischen Kriegers übergeben. Solche Zeremonien filmten Mitglieder mehrfach und verbreiteten sie in sozialen Netzwerken. In Stuttgart ist der zum Tatzeitpunkt im Januar 2017 noch minderjährige Burak U. angeklagt, sich an einer Bestrafungsaktion gegen drei ebenfalls damals noch minderjährige Anwärter beteiligt zu haben. Auf einem Überwachungsvideo der Polizei ist zu sehen, wie U. dabei auf die Aussteiger einschlägt. Einer von ihnen leidet an einer Blutgerinnungsstörung.

Vernetzung

Der Osmanen Germania Boxclub ist bundesweit bestens vernetzt. Dabei unterhalten die Führungskader der vor allem von türkischen Migranten gebildeten Gruppe beste Beziehungen in die Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP, der Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD) sowie in die türkische Staatsführung bis zu Staatspräsident Recep Tayyib Erdogan. Dessen Jugendfreund, der türkische Abgeordnete und Geheimdienstkoordinator Metin Külünk, übergab dem ebenfalls in Stuttgart angeklagten, früheren Weltpräsidenten Mehmet Bagci am 1. Juni 2016 in Berlin persönlich zwei Briefumschläge mit Geld. Weiteres Geld wurde über den Mannheimer UETD-Vorsitzenden Yilmaz Ilkay Arin sowie den türkischen Geheimdienst MIT vermittelt. Mit dem Geld sollten die Osmanen Waffen kaufen. Sie hatten sich selbst einem engen Berater Erdogans als „Antiterrortruppe“ in Deutschland angeboten. Der ebenfalls in Stuttgart angeklagte Vizeweltpräsident Selcuk Sahin, wollte zudem nach Recherchen unserer Zeitung und des ZDF-Magazins „Frontal 21“ Investoren für Geschäfte des Erdogan-Sohns Bilal vermitteln. Das legen mitgeschnittene Telefonate Sahins nahe.