Die Rechtsanwälte Achim Unden (li.) und Siegfried Dierberger vor Verhandlungsbeginn eines Prozesstages gegen Foto: Lichtgut

Celal Sakarya scheint Polizei und seine Kumpane bei der rockerähnlichen Gruppe gegeneinander ausspielen zu wollen. Das führt bis zur Falschaussage vor Gericht.

Stuttgart - Es war bereits der dritte Auftritt des früheren Gießener Osmanen-Chefs vor der 3. Großen Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts. Die Mittagspause um 12:17 Uhr näherte sich, als Rechtsanwalt Siegfried Dierberger Celal Sakarya befragte: „Sind Sie einmal in einem Zeugenschutzprogramm gewesen?“ Sakarya überlegte kurz. Der antworte unerwartet einsilbig statt mit einer seiner ansonsten ausschweifenden Reden: „Nein!“

Ein glatte Falschaussage, wie sich jetzt herausstellte. Auf dem selben Stuhl wie Sakarya nahm ein Kriminalhauptkommissar des hessischen Landeskriminalamtes Platz. Der legte dar: Zwischen dem 22. April und 1. Mai 2017 war Sakarya in einem sogenannten Prüfverfahren für ein Zeugenschutzprogramm des hessischen Landeskriminalamtes (LKA). Das heißt: Der Ex-Osmane wurde von Polizeibeamten geschützt und in diesen neun Tagen in insgesamt drei Hotels im Saarland und in Hessen versteckt.

„Ungeeignet für das weitere Zeugenschutzprogramm“

Immer wieder habe er in dieser Zeit den Ermittlern Angebote gemacht: Er könne zu Interna der rockerähnlichen Gruppe Osmanen Germania Boxclub aussagen. Er habe auf seinen Computer Finanzunterlagen, könne über ihre Geschäften berichten. Von deren Führungsduo Mehmet Bagci und Selcuk Sahin fühle er sich bedroht. Die hessischen Ermittler, seit April 2016 den Osmanen auf der Spur, versprachen sich weitere Beweise und Indizien – um dann enttäuscht zu werden: „Für mich war es bei den vielen Worthülsen am Ende fraglich, ob wirklich etwas verifizierbares herauskam“, bewertete der hessische Kriminale.

Sakarya habe immer wieder angeboten,etwas zu liefern, sich dann zurückgezogen – ohne zu liefern. Als er die Regeln des Zeugenschutzes brach und Kontakt zu seiner Familie aufnahm, stuften ihn die Experten des hessischen LKAs als „ungeeignet für das weitere Zeugenschutzprogramm“ ein.

Von der Polizei zurück zu den ehemaligen Kumpanen und Tätern

Für Sakarya der Grund, sich flugs wieder seinen früheren Kumpanen bei den Osmanen anzudienen. Er wanzte sich an Sahin und Bagci ran. In der Folge versandte er einen Sahin entlastenden Brief an das Stuttgarter Amtsgericht. Ein Dokument, das – für Sakarya ungewöhnlich - juristisch wohl formuliert ist. Der 37-jährige betont darin, Sahin habe nichts mit der Abstrafaktion zu tun, bei der der missliebige Stadtallendorfer Ex-Osmane im Februar 2017 in Herrenberg blutig geschlagen, ihm ins Bein geschossen und mit einer Rohrzange Zähne ausgeschlagen wurden. Der Brief ging am 30. Juni 2017 bei Gericht ein, am 7. Juli hatte Sahin in Stuttgart einen Haftprüfungstermin. Hauptvorwurf: die Herrenberger Bluttat.

In seinen Befragungen vor Gericht am 15. und 16. Mai sowie am 5. Juni sagte Sakarya, die Polizei habe ihm Geld für falsche Aussagen geboten. Unter ihnen sei auch der Chef der streng abgeschottet ermittelnden Arbeitsgruppe Shade (Schatten) des hessischen LKA gewesen. Er beschuldigte Polizisten, sie hätten ihn zu falschen Aussagen gedrängt. Zudem hätten die Ermittler ihm angeboten, als Vertrauensperson, also als Spitzel, für sie zu arbeiten.

Nur beim Kern der Herrenberger Bluttat widerspricht sich Sakarya nicht

In seinen bisherigen Befragungen und Vernehmungen widersprach sich Sakarya nur in einem Punkt nicht: Wenn er den Kern der Aktion in Herrenberg im vergangenen Jahr schilderte: die Schläge und den Schuss. Die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Joachim Holzhausen muss jetzt entscheiden, ob sie Sakarya noch einmal befragen wird. Offiziell ist der noch nicht aus dem Zeugenstand entlassen worden.

In den werden – zumindest wenn es nach den Richtern geht – auch nicht mehr viele Zeugen kommen. Ende Oktober, sagte Holzhausen, habe die Kammer ihr Beweisprogramm abgearbeitet. Jetzt sind die Verteidiger am Zug, gegebenenfalls weitere Zeugen zu benennen, die sie für notwendig erachten.