Eingang des Justizgebäudes in Darmstadt, in dem auch die Staatsanwaltschaft ihre Büros hat. Foto: dpa

Während Polizisten minutiös ermittelten, welche Waffen Mitglieder des Osmanen Germania Boxclubs wem wann wo übergaben, haben die verantwortlichen Staatsanwälte in Darmstadt bislang keine Anklage erhoben – mehr als anderthalb Jahre nach den Taten.

Stuttgart - Am 16. März 2018 urteilte die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Darmstadt: Timur Y., Adjutant Mehmet Bagcis, des Welt-Anführers der rockerähnlichen Gruppe Osmanen Germania BC, muss für sechs Jahre ins Gefängnis. Die Richter sprachen Y. schuldig, Drogen und drei zu scharfen Waffen umgebaute Pistolen nebst Munition verkauft zu haben.

Ermittlern ist Timur Y. kein Unbekannter. Immer wieder taucht sein Name in Akten deutscher Strafverfolger auf, die unserer Zeitung, dem ZDF und der Neuen Züricher Zeitung am Sonntag vorliegen. Auch und gerade mit Waffen, über die die verbotenen Osmanen offenbar reichlich verfügten. Ein Jugendfreund Erdogans und damaliger Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP, Metin Külünk, hatte sie mit Hilfe des türkischen Geheimdienstes und mindestens eines Vorsitzenden des Lobbyvereins UETD finanziert.

Eine Maschinenpistole zum Dessert des Hochzeitsmahls

So beauftragten Bagci und sein Stellvertreter Selcuk Sahin am 7. Mai 2016 während der Hochzeitsfeier ihres Kumpanen Teyfik Karaboga im badischen Tengen (Kreis Konstanz), die Überführung jener Maschinenpistole von Typ Scorpion zu organisieren, die das Duo quasi zum Nachtisch des Hochzeitsmahls geordert hatten. Nicht nur bei der Bestellung hörten Polizisten mit: Sie hatten das Fahrzeug verwanzt, in dem die Waffe vom Bodensee ins Hauptquartier der Osmanen im hessischen Dietzenbach geliefert werden sollte. Sie hörten die Kuriere ab und schlugen zu: Polizisten stoppten den Ford-Fiesta, beschlagnahmten die Waffe.

Es sollte eine der wenigen bleiben, die Polizisten überhaupt bei Osmanen-Razzien fanden. Dabei sind unter den zigtausend Protokollen abgehörter Telefone und Häuser hunderte, in denen über Waffen gesprochen, sie bestellt, abgeholt, versteckt und gebunkert wurden. Immer wieder mit von der Partie: Timur Y., Mehmet Bagci, Selcuk Sahin.

Staatsanwalt: „Ermittlungen dauern noch an“

Umso verwunderlicher ist es, dass Y. lediglich wegen des Verkaufs der drei Pistolen während eines Treffens der Osmanen am 4. September 2016 verurteilt wurde. Wegen anderer Taten, wie der Hochzeits-Maschinenpistole, wurden weder er noch Bagci oder Sahin angeklagt. Dies sei, sagt ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft in Darmstadt, „Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens“. Zudem seien die gegen Osmanen anhängigen „Ermittlungsverfahren (teilweise) noch nicht abgeschlossen, weil zum Beispiel Stellungnahmen von Verteidigern angekündigt sind und abgewartet werden“.

Das hat auch Auswirkungen auf das laufende Strafverfahren in Stuttgart. So würde beispielsweise der frühere Stuttgarter Osmanen-Chef Levent Uzundal entlastet, wenn jene Telefonate bekannt wären, in denen er sich weigerte, gewaltsam gegen Aussteiger vorzugehen. Bagci und Sahin bezeichneten ihn dafür in Telefonaten als „Weichei“ und „Pussy“.

Informationen bleiben Ermittlern anderer Bundesländer vorenthalten

Bleibt der Informationsaustausch zwischen den Ermittlungsbehörden der Bundesländern in Sachen Osmanen. Was genau bei dem in Darmstadt ermittelten Fällen herauskam, ist Ermittlern und Staatsanwälten in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und dem Saarland weitestgehend unbekannt. „Es ist erschreckend, wie die Bundesländer an ihren Egoismen in Ermittlungen festhalten“, sagt Sebastian Fiedler, Vize-Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Und spricht von einem Offenbarungseid, den die Innenministerkonferenz der Länder leiste: Es würde sich keiner mehr finden, der überhaupt noch den Überblick habe, was in welchem Bundesland derzeit erlaubt sei oder gar ermittelt würde.