Christian Riethmüller sitzt in der Filiale am Stuttgarter Marktplatz (Archivbild). Die Umgestaltung des Marktplatzes helfe den Händlern nicht, meint er. Foto: Lichtgut/Julian Rett/ig

Die Tübinger Buchhandelskette mit ihren 61 Filialen zieht es in die Toplagen der Innenstädte. Doch Stuttgart und Reutlingen machen zu wenig für Handel und Innenstädte, kritisiert Osiander-Chef Christian Riethmüller.

In der Tübinger Geschäftszentrale sind Möbel für den Umzug beschriftet, bald bezieht Osiander einen neuen, kleineren Firmensitz am Rande der Innenstadt. Wieder einmal verändert sich die Buchhandelskette. Seit 2020 nutzt Osiander mit dem Branchenprimus Thalia IT, Einkauf, Logistik und den Webshop gemeinsam auf einer Plattform, deshalb ist die Fläche in der Zentrale zu groß geworden.

 

Es ist eine Zäsur nach den Neustrukturierungen. Das Familienunternehmen, das bis Ende 2019 seine Filialen vermehrte wie kaum ein anderer Buchhändler in Deutschland, hat in den vergangenen drei Jahren elf Geschäfte geschlossen. 61 Läden in 60 Städten, das Gros in Baden-Württemberg, gibt es noch. Gleichzeitig investierte Osiander in fast 30 Standorte, in einigen Fällen zog man um, meist in Flächen mit Erdgeschoss und in bessere Lage. „Wir haben die unrentablen Buchhandlungen geschlossen und uns nach der Pandemie neu aufgestellt“, sagt Osiander-Chef Christian Riethmüller.

Osiander folgt damit einem der auffälligsten Handelstrends: Weil die Besucherfrequenzen noch nicht den Stand vor der Pandemie erreichen, kämpfen die Geschäfte in der City um Kundschaft. Gleichzeitig verkleinern immer mehr Händler ihre Flächen und sparen sich weitere Stockwerke. Die Kunden wollen schneller, übersichtlicher und bequemer einkaufen als früher, so sind sie es aus dem Internet gewohnt: Was aus der Sichtweite ist, ist weniger gefragt. Die Fokussierung schmälert nicht immer den Umsatz. Osiander schloss beispielsweise in Friedrichshafen die erste Etage und investierte in eine neue Präsentation im Erdgeschoss. Zuletzt wuchs der Umsatz um zehn Prozent – bei geringeren Raum- und Personalkosten.

Filiale im Milaneo entpuppt sich als Fehlentscheidung

Hohe Mieten sind einer der Gründe, weshalb Osiander seine Filialen in fast allen Einkaufszentren schließt. Die Filiale in den Böblinger Mercaden zieht im Sommer nächsten Jahres in die Fußgängerzone, jene im Stuttgarter Milaneo ist schon geschlossen. „In der Pandemie hat es bei den Mieten kaum Entgegenkommen gegeben, die Centerbetreiber agieren zumeist kurzfristig und fixieren sich auf den kurzfristigen Profit“, kritisiert Riethmüller. Gleichzeitig räumt er ein, dass er sich beim Einstieg in Center zum Teil auch völlig verschätzt habe. „So war es eine grundlegende Fehlentscheidung, ins Milaneo zu gehen. Unsere Buchhandlung hat dort gar nicht funktioniert.“

Der 48-Jährige gilt als einer der meinungsfreudigsten Unternehmer im Land, wenn es um eine händlerfreundliche Stadtplanung geht. Fast alle der 60 Osiander-Standorte liegen zentral. Er könne an den eigenen Geschäftszahlen ablesen und vergleichen, wo die Innenstädte für die Besucher und Kunden attraktiv gestaltet seien. In Tübingen etwa habe die Verkehrsberuhigung der Innenstadt die Aufenthaltsqualität verbessert. Es gebe genügend Parkhäuser, samstags sei der Nahverkehr kostenlos, es wurde in Radwege und die Fußgängerzone investiert. „Die Besucherzahlen haben sich verbessert“, meint Riethmüller. „Das Hauptziel muss sein, dass die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Stadt einkaufen. Wenn auch das Umland kommt, ist das ein willkommenes Extra.“

Manche Händler verschlimmern die Lage in den Innenstädten

Die Reutlinger Innenstadt stehe bei weitem nicht so gut dar, auch wenn die Politik inzwischen gegensteuere: Hier habe man in den letzten Jahren die City zu wenig weiterentwickelt, und auch der Verkehr sei deutlich verbesserungswürdig. Ähnliches gelte auch für Stuttgart, wo man zu wenig Radwege gebaut und zu viele Flächen für Einkaufszentren zulasten der City geschaffen habe – „auch schon unter grüner Führung“, wie Riethmüller betont. Sein Ärger über die auch in der Öffentlichkeit umstrittene wie langwierige Umgestaltung des Marktplatzes ist längst nicht verraucht. „Wenn jetzt ein Paar Bänke und Springbrunnen stehen, kauft doch keiner mehr ein. Man muss sich ganz andere Gedanken machen, um den Einzelhandel zu retten.“

Aber auch mancher Händler verschlimmere die Lage, meint der Osiander-Chef: „Viele treffen nicht mehr den Nerv der Zeit.“ Wer beim Einkauf enttäuscht werde, übertrage seine Erfahrungen auch auf andere Geschäfte und shoppe noch häufiger im Internet. Dass große Kaufhäuser wie Galeria Karstadt Kaufhof oder manche Modeketten in die Insolvenz gingen, liege auch an alten Konzepten und nicht mehr zeitgemäßen Waren. Deshalb seien Schließungen auch eine Chance für die Innenstädte, betont Riethmüller: „Bevor noch mehr Kunden aufgrund von unattraktiven Konzepten im Internet einkaufen, ist es mir lieber, wenn sich die Stadt ein alternatives Nutzungskonzept für die Immobilien überlegt.“

Sich selbst sieht Osiander wieder auf Kurs. Der Umsatz soll dieses Jahr auf 110 Millionen Euro und damit auf Vor-Coronaniveau wachsen, erstmals seit vier Jahren will man in Lahr eine neue Filiale eröffnen. Und auch junge Leute entdecken die Buchhandlungen wieder für sich: Sie kaufen vor allem englischsprachige Titel, Mangas, Fantasy und Bücher mit einem leicht romantischen Touch. Osiander schafft nun verstärkt eigene Jugendbereiche. „Wenn ein wichtiger Influencer auf Booktok Bücher bespricht, stehen tags darauf viele Jugendliche im Laden“, sagt Riethmüller. „Entwicklungen wie diese machen mir Mut.“