Gesangsstimme und Schauspieler werden eins: Rami Malek als Freddie Mercury in „Bohemian Rhapsody“ Foto: © 2017 Twentieth Century Fox

Nun kommt Taron Egerton als Elton John ins Kino, und er überzeugt wie Rami Malek, der als Freddie Mercury den Oscar gewonnen hat. Das funktioniert nur, wenn die Tonspur exakt stimmt, sagt die Britin Nina Hartstone – sie hat für „Bohemian Rhapsody“ den Tonschnitt-Oscar bekommen.

Stuttgart - Kino ist Illusion, und eine der wunderbarsten des Jahres 2018 war für viele „Bohemian Rhapsody“, das Spielfilmporträt der englischen Rockband Queen und ihres Sänger Freddie Mercury. Vier Oscars gab es dafür, einen für den Hauptdarsteller Rami Malek, der seine gewaltige Überbiss-Maske mit Charme und Charisma überspielte, einen für den Filmschnitt sowie zwei für die Tonmischung und den Tonschnitt. Tatsächlich ist die Tonspur dieses Films mächtig: Die Musik von Queen strahlt kraftvoll und wie aus einem Guss, perfekt zugeschnitten auf die Bilder. Bei dem nachgestellten Auftritt von Queen beim Live-Aid-Benefizfestival 1985 in Wembley entsteht ein Stadiongefühl, als wäre man im Moment live dabei – und Freddie Mercurys Stimme liegt perfekt auf den Lippen Rami Maleks.

 

„Wir haben alles um die Mundbewegung herum geformt, das muss absolut lippensynchron sein, damit man es glaubt“, sagt die englische Tonmeisterin Nina Hartstone. Sie war exklusiv für die Tonspur von Freddie Mercurys Gesangsstimme verantwortlich, hat dafür im Februar einen Oscar bekommen und war Anfang Mai in Stuttgart zu Gast beim Digitalkongress FMX, um zu erklären, wie sie das gemacht hat. Sie wirkt bodenständig, zeigt keinerlei Allüren, plaudert mit ihrem dicken Windsor-Akzent (bei London) aus dem Nähkästchen beim Vortrag im Kino Gloria 2 und danach im Interview, und macht eher den Eindruck, als könnte sie das alles selbst gar nicht glauben.

Das Ziel: ein möglichst kraftvoller Sound

Im Kino erläutert sie ihr Tun anhand von Filmausschnitten, wobei sie den Lautstärkeregler ordentlich aufreißt, um den gigantischen Sound auszuspielen und den Saal zum Vibrieren zu bringen. „Die Musik sollte so laut wie möglich abspielbar ist, ohne harsch zu werden“, erklärt Hartstone. „Besonders heikel sind der Publikumsjubel und elektrische Gitarren. Wir haben versucht, alle unschönen Frequenzen herauszufiltern und zugleich einen kernigen, kraftvollen Sound zu schaffen, dessen tiefes Spektrum man im Bauch spürt. Es sollte sich anfühlen, als wäre man wirklich dort, gerade beim Live Aid – es sollte ein deutlicher Unterschied sein zu der TV-Aufzeichnung von damals, die auf Youtube steht.“

Dabei haben Hartstone und ihre Kollegen die Tonspuren keineswegs massiv digital hingebogen, wie es die Pop-Produzenten der Autotune-Generation gerne tun: „Wir machen so wenig wie möglich, wenn es nicht sein muss“, sagt sie. „Wir säubern die Spur von Verzerrungen und Hintergrundgeräuschen, wir arbeiten sehr feine Details heraus mit dem Equalizer und mit Lautstärke-Angleichungen. Sobald die Spur in den Gesamtsound eingebettet ist, wird vieles überdeckt.“

Die Tonmeisterin zeigt, wie sie den Gesang aus mehreren Quellen montiert hat: Mercurys Stimme fließt bruchlos zusammen mit der des kanadischen Stimmdoubles Marc Martel und mit Elementen, die Malek beigesteuert hat. „Wir haben wirklich alles auch Rami und Marc singen lassen für den Fall, dass wir sie brauchen“, sagt Hartstone. „Manches gab es auch gar nicht in den Archiven, die Familienfeier zum Beispiel. Dass Rami alles mitsingt, war auch deshalb wichtig, weil seine Atemgeräusche seine Performance in der Tonspur verankern.“

Ein illegaler Mitschnitt als Glücksfall

Besonders eindrucksvoll vermittelt sich das bei der Live-Aid-Sequenz: Hartstone klickt Tonspuren an und aus und führt vor, wie sie verschmelzen. In Gesangspausen sieht und hört man tatsächlich Malek atmen, der Gesang stammt fast ausschließlich von Mercury: „Obwohl es streng verboten war, hat ein Crewmitglied eine Mehrspuraufnahme des Auftritts gemacht, weil er dachte: Es wäre ein Verbrechen, das nicht festzuhalten“, erzählt Hartstone. „Das war ein echter Glücksfall, so hatten wir in akzeptabler Qualität, was Queen damals live gespielt haben – und das ist ja das, was ein Millionenpublikum Ton für Ton kennt. Es wäre schwer gewesen, das nachzustellen.“

Beim Publikum ging es nicht anders. „5600 Komparsen haben sich in der Dynamik der Musik bewegt, applaudiert und mitgesungen“, sagt Hartstone. „Und sie mussten die Albumversion singen, denn sie konnten ja nicht wissen, was Freddie anders machen würde.“ Außerdem gab es eine Marketing-Kampagne namens „Put me in Bohemian!“: Wer seine Stimme beisteuern wollte, konnte mithilfe einer App zur Queen-Musik singen. „Wir haben 17 000 Aufnahmen bekommen“, sagt Hartstone. „Das klang zum Teil gruslig und seltsam, aber wenn man es übereinanderlegt, funktioniert es erstaunlicherweise trotzdem.“

Brian May griff selbst zur Gitarre

Einen wesentlichen Beitrag leisteten der Queen-Gitarrist Brian May und der Drummer Roger Taylor, die als Berater die gesamte Entstehung des Films begleitet haben. „Sie beschäftigen drei Archiv-Manager, die die Klangbibliothek der Band katalogisieren und digitalisieren“, sagt die Tonmeisterin. „Und die verstehen ihr Geschäft: Alle Aufnahmen, die wir bekommen haben, waren exzellent aufbereitet. Brian May ist Physiker, John Deacon Elektrotechniker. Sie haben die Technik von Anfang an für sich genutzt und sehr früh angefangen, alles mitzuschneiden. Sie hatten auch Publikumsaufnahmen aus den 70ern, wir haben also gehört was die Leute damals taten und riefen, welche Geräusche sie machten, wie sie mitgesungen haben.“

May griff sogar selbst zur Gitarre: „In der Szene, in der der Film-Brian das Gitarrensolo zu ,Bohemian Rhapsody‘ aufnimmt, brauchten wir Versionen, die sich von der auf dem Album unterscheiden, und Brian hat sie uns einfach eingespielt“, sagt die Tonmeisterin. Während der Schauspieler Gwylim Lee bewegungssynchron mit der Gitarre hantiert, hört man nur diese, denn sie soll ja so pur wie möglich aufs Band – der Bandsound streut nur ein wenig aus den Muscheln seines Kopfhörers in den Raum – gängige Studiopraxis anschaulich erklärt.

Bei den Oscars kamen ihr die Tränen

Nina Hartstones Begabung scheint in der Familie zu liegen, ihr Vater Graham hat als Toningenieur an vielen James-Bond-Filmen mitgearbeitet, an „Blade Runner“ und am Pink Floyd-Musikfilm „The Wall“. „Er hat mich schon Leuten vorgestellt“, sagt seine Tochter, aber: „Das hätte nichts gebracht, wenn ich es nicht gekonnt hätte, zumal als Frau – Technik-Abteilungen beim Film waren in den 90ern noch richtige Jungs-Clubs.“

Im Februar nun stand Nina Hartstone bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles auf der Bühne und bekam wie ihr Kollege John Warhurst einen Oscar für den besten Tonschnitt. „Ich dachte, an diesem Film zu arbeiten, wäre das Aufregendste, was mir im Leben passieren könnte“, sagt sie. „Aber als Queen die Oscar-Show eröffnet haben, war ich wirklich außer mir. Und als John und ich auf die Bühne gerufen wurden, habe ich tatsächlich ein bisschen geweint.“ Ihre Oscar-Rede beendete Hartstone mit einem Gruß an ihre drei Kinder: „Mommy’ll be home soon!“, rief sie in den Saal, und es war ein zutiefst menschlicher Moment bei einer Veranstaltung, die zu 99 Prozent aus Show besteht.

„Queen haben durch den Film ein völlig neues Publikum, eine ganz neue Generation entdeckt die Band für sich“, sagt Hartstone in Stuttgart. „Mein zehnjähriger Sohn hat ,Bohemain Rhapsody‘ mehrfach im Kino angeschaut – und das nicht nur, weil Mama den Sound gemacht hat.“ Elton John könnte es nun genauso ergehen, seine Songs sind ebenso zeitlos wie die von Queen, „Rocketman“ ist ebenso bewegend wie „Bohemian Rhapsody“ mit stärkeren Musical-Anteilen – eine wunderbare Kino-Illusion eben.