Friedrich Lieb hat alles im Griff: 1696 Pfeifen um genau zu sein. Foto: Janine Beck

Zurzeit wird die Orgel der Gemeinde Sankt Michael in Stuttgart-Sillenbuch gesäubert. Die Operation dauert zwei Monate und kostet 50 000 Euro. An Ostern soll das Instrument wieder von der Empore erklingen. Wir waren bei der aufwendigen und ungewöhnlichen Arbeit dabei. Eine Reportage.

Sillenbuch - Der Sauger röhrt, es klappert und scheppert. Friedrich Lieb beugt sich über den selbst tonlosen Körper. Seine junge Assistentin wartet auf die nächste Anordnung, die anderen aus dem Team werkeln vor sich hin. Friedrich Lieb ist Orgelbaumeister, und vor ihm breitet sich seine Patientin aus. Seine Patientin ist die Orgel. Lieb hat den Auftrag, mit seinem Team die Rieger-Orgel in der Kirche von Sankt Michael zu sanieren. Zum allerersten Mal seit ihrem Bau; seit 1963 wird auf ihr der Gottesdienst begleitet.

Seit Anfang Februar läuft nun die Operation Michaelsorgel, und Lieb schenkt ihr seine volle Aufmerksamkeit. Tief schaut er in die Pfeifen wie in einen Rachen. Da hat er einiges zu tun. „Das muss Pfeife für Pfeife durchgesehen werden“, sagt Lieb. Die Patientin besitzt stolze 1696 Pfeifen, die alle einzeln gesäubert werden müssen. Deshalb geht es nur langsam voran. Zwei Monate haben sich Lieb und sein Team gegeben.

Die Orgelsanierung kostet 50 000 Euro

Eine Säuberung wie die der Michaelsorgel ist ein aufwendiges Unterfangen. „12 000 bis 13 000 Teile haben wir mit Sicherheit in den Fingern. Wir fassen die Teile ja auch nicht nur einmal an“, sagt Lieb. Für das 50 000 Euro teure Projekt, das zurzeit in Sillenbuch läuft, fehlen bislang noch 11 783 Euro. Viel Geld ist bei Spendenaktionen zusammengekommen. Die Orgel ist den Leuten im Ort was wert.

Um einige der Pfeifen kümmert sich Liebs Assistentin vor Ort. Kleine Pfeifen werden hingegen in der Werkstatt in Bietigheim-Bissingen gesäubert. Die Assistentin ist Liebs Tochter Kristin. Sie ist während der Semesterferien zur Stelle. Eine Pfeife trägt sie in der linken Hand, eine in der rechten – der Job sieht nach Knochenarbeit aus. Doch Kristin kommt gut zurecht, „unhandlich sind sie halt“, sagt sie. Kristin Lieb nimmt eine Pfeife und reibt die Außenseite mit einem feuchten Tuch ab, dann bläst sie Druckluft hinein. Der Sauger, der gleichzeitig ein Puster ist, bringt den Schmutz von mehr als fünf Jahrzehnten zum Vorschein und saugt ihn weg. Zum Schluss reinigt sie die Pfeifenöffnung mit einem Pinsel.

Jede Taste ist mit 19 Pfeifen verbunden

Währenddessen arbeiten sich die beiden Assistenzorgelärzte Thomas Kleiber und Patrick Habele unterhalb der Tastatur weiter vor. Sie reinigen und tauschen beispielsweise Scharniere und Winkel aus. Die braucht die Orgel, um den Wind beim Tastendruck durch die Kanäle zu pressen und in die Pfeifen zu leiten. Der Werkstudent und gelernte Schreiner Habele zeigt dabei vollen Körpereinsatz, er liegt unter den Tasten. Sein Kollege, der gelernte Elektroniker und Orgelbauer Thomas Kleiber, kniet sich ebenfalls kräftig in den Orgelorganismus. Diese Patientin funktioniert mechanisch, aber für die Sanierung modernerer Orgeln ist sein Elektroniker-Fachwissen gefragt.

Unter den 112 Tasten liegt das Gerippe der Orgel ohne Abdeckung frei. Damit die Königin der Instrumente bald wieder sauber klingt, muss jeder Handgriff sitzen. Es ist eine Operation am offenen Herzen, und sie erfordert viel Fachwissen: Holzpfeifen, Metallpfeifen, offene und gedeckte Pfeifen, Zungenpfeifen und vieles mehr. Jede Taste ist mit 19 möglichen Pfeifen verbunden – oder kurz gesagt: Es ist eine Wissenschaft für sich, eine Wissenschaft für Friedrich Lieb.

Er ist über das Orgelspielen auf den Geschmack gekommen: „Mein Orgellehrer hat mir gezeigt, mit was ich vorhabe, umzugehen. Das hat bei mir einen Aha-Effekt gegeben.“ Es begeistert ihn, was in dem Instrument alles passiert und dass am Ende dann auch noch ein Ton rauskomme. Er habe „eine unglaublich vielfältige Arbeit“. Dazu gehören etwa Schreinern, Lederverarbeitung und Intonation, also die Feinabstimmung der Tonhöhe. Da ist kein Tag wie der andere. Auch, weil jedes Instrument anders ist, „es wird einem nie langweilig“, sagt Friedrich Lieb.

„Manchmal wird die Nacht zum Tag“

Das ist auch gut so. Denn seine Arbeitszeiten können sich unter Umständen auch einmal auswachsen. Überstunden gehören dazu. „Manchmal wird die Nacht zum Tag“, sagt Lieb. Sein Beruf ragt aber auch sonst in sein Privatleben. Die Familie ist nicht nur am Ort des Geschehens eingebunden wie zurzeit seine Tochter Kristin in Sillenbuch. Sie und ihre Schwester helfen dem Vater auch bei Zeichnungen am PC, seine Frau im Büro in Ingersheim. „Wenn man so einen Beruf hat, hat die ganze Familie etwas davon“, sagt er und lacht.

Der Orgeldoktor Lieb greift teils auch selbst hin und wieder gerne in die Tasten. Nach der Reinigung in Sillenbuch wird er den Pfeifenklang natürlich persönlich testen. Und danach ist die Empore in der Kirche wieder frei für den Organisten. Pünktlich zu Ostern soll das Instrument mit neuem Leben erfüllt sein und auch aus dem letzten Loch sauber pfeifen.