Erst zerschlug das FBI mehrere sogenannte Kryptoplattformen, auf denen sich das organisierte Verbrechen traf, um Geldwäsche, Drogengeschäfte und Auftragsmorde zu planen. Dann boten die Ermittler einen eigenen Messenger für Verbrecher an.
Wiesbaden/Den Haag/Sydney - Monatelang hörte und las das FBI mit, wenn sich Kriminelle aus mehr als 100 Ländern austauschten. Am Montag folgte der Zugriff. Was wir bisher über die weltweite Razzia auf drei Kontinenten gegen das organisierte Verbrechen wissen.
Was ist geschehen?
Internationale Fahnder durchsuchten am Montag 700 Wohnungen, Lagerhallen und Geschäftsräume in 16 Ländern. Dabei wurden 800 Personen festgenommen sowie acht Tonnen Kokain, zwei Tonnen synthetische Drogen, 22 Tonnen Cannabis, 250 Schusswaffen, 55 Luxusautos und knapp 39,4 Millionen Euro beschlagnahmt.
Wer war an der Aktion beteiligt?
Die Operation „Trojan Shield“ (Trojanisches Schild) stand unter Leitung des amerikanischen FBI, der US-Drogenbehörde FDA, der Polizei von Schweden und der Niederlande und wurde von Europol koordiniert. Ermittler in 16 Ländern seien beteiligt gewesen, darunter auch in Australien und Deutschland. „Dies war einer der größten und ausgeklügeltsten Einsätze überhaupt“, sagte der stellvertretende Europol-Direktor Jean-Philippe Lecouffe am Dienstag.
Was wird den Beschuldigten vorgeworfen?
Die Beschuldigten stehen laut Bundeskriminalamt (BKA) im Verdacht, unter Nutzung von verschlüsselten Kommunikationsnetzwerken (sogenannte Kryptonetzwerke) und Endgeräten (Kryptohandys) Handel mit Betäubungsmitteln und Waffen betrieben zu haben.
Was ist ein Kryptonetzwerk?
Dabei handelt es sich um eine Art Whatsapp für Kriminelle, über das unbeobachtet von der Polizei kommuniziert werden kann. Dabei kommen Kryptohandys zum Einsatz, die über keine Telefon-, Mail- oder GPS-Funktion verfügen und die einzig dazu dienen, andere Nutzer der App, die dies zuvor genehmigt haben, zu kontaktieren. „Kryptohandys werden zu derart horrenden Preisen angeboten, dass sie fast ausschließlich von Kriminellen genutzt werden“, erklärt Oberstaatsanwalt Benjamin Krause von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.
Was ist das Besondere an dem Fall?
Normalerweise versuchen die Fahnder, ein Kryptonetzwerk zu unterwandern. Diesmal wurde die ANOM genannte Messenger-App, auf der sich die Kriminellen ganz ungezwungen austauschten und Drogengeschäfte, Auftragsmorde sowie Geldwäsche planten, vom FBI und der australischen Bundespolizei programmiert und betrieben. Um den angeblich abhörsicheren Kommunikationskanal zu verbreiten, verteilten Undercover-Agenten präparierte Handys an mehr als 300 Banden in 100 Ländern, darunter die Mafia, kriminelle Motorradgangs und internationale Drogenkartelle. Zuletzt waren laut Europol knapp 12 000 ANOM-Geräte im Umlauf, die meisten davon in Australien, Spanien, Deutschland und in den Niederlanden.
Dem US-Magazin „Vice“ zufolge wurden zunächst 50 Kryptohandys für jeweils rund 1650 Euro auf dem Schwarzmarkt verkauft. „Kriminelle mussten einen Kriminellen kennen, um ein Gerät zu bekommen“, erklärte die australische Bundespolizei. Mehr als 18 Monate lang hörten die Ermittler danach Telefongespräche und andere Kommunikation der Banden ab, rund 27 Millionen Nachrichten seien gefiltert worden. Die Überwachung der ANOM-Chats habe etwa hundert Menschen das Leben gerettet, hob der FBI-Vizechef Calvin Shivers hervor.
Dem Ermittlungserfolg vorausgegangen war die Infiltration der Kryptoplattform Phantom Secure durch das FBI. Ein weiteres Kommunikationsnetzwerk namens Sky Global wurde vom FBI zerschlagen. Das erzeugte ein Vakuum auf dem Markt der verschlüsselten Kommunikation, welches das FBI dann mit seinem eigenen System ANOM füllte. Parallel dazu schürten die Ermittler Gerüchte über die Unzuverlässigkeit des Konkurrenzsystems Ciphr. Im März berichtete ein Blogger allerdings ausführlich über Sicherheitsmängel bei ANOM und mögliche Verbindungen zum Geheimdienstbündnis Five Eyes, an dem unter anderem die USA und Australien beteiligt sind. Dennoch fühlten sich viele Nutzer auf ANOM weiter unbeobachtet.
Was passierte in Deutschland?
In Deutschland wurden 150 Objekte durchsucht. Schwerpunkt der Ermittlungen war nach Angaben der Polizei Hessen, wo die Beamten 130 Gebäude überprüften. „Es ging vor allem um zwei Gruppierungen im Rhein-Main-Gebiet“, sagte Virginie Wegner vom hessischen Landeskriminalamt. Insgesamt wurden 70 Menschen festgenommen, 60 in Hessen. Dort wurden auch mehr als 120 Kilogramm Marihuana, 25 Kilogramm Haschisch und über 6000 Cannabis-Pflanzen sichergestellt. Außerdem drei Kilogramm Heroin, ein Kilogramm Kokain und 100 Kilogramm Streckmittel, mehr als 30 Kilogramm Amphetamin und 15 Kanister Amphetaminbase. Die Polizei stellte zudem zahlreiche Waffen sicher und beschlagnahmte über 30 Fahrzeuge und Bargeld in Höhe von 250 000 Euro. Auch in Sachsen kam es zu mehreren Festnahmen.