Der Weiße Ring begrüßt im Grundsatz eine zentrale Anlaufstelle für Opfer von Straftaten. Dabei dürfe es aber nicht bleiben, fordert dessen Landesvorsitzender Erwin Hetger Foto: dpa

Das Land will einen Opferschutzbeauftragten ernennen. Außerdem soll es eine zentrale Anlaufstelle geben. Vorbilder dafür gibt es bereits – zum Beispiel Berlin.

Stuttgart - Mehr als 100 000 Menschen in Baden-Württemberg sind im vergangenen Jahr Opfer von Straftaten geworden. Damit ist jeder Hundertste im Land betroffen von Diebstahl oder Betrug oder Gewalttaten. Für die Betroffenen ist danach häufig nichts mehr, wie es einmal war. Wer Unterstützung sucht, kann leicht den Überblick verlieren. Das Land will diesen Dschungel lichten.

„Man kann es Opfern von Straftaten nicht zumuten, dass sie sich durchfragen müssen“, sagt der Justizminister Guido Wolf (CDU). Deshalb arbeite sein Haus an einem Konzept für eine zentrale Anlaufstelle. Auch die Ernennung eines Opferschutzbeauftragten ist vorgesehen.

Der Weiße Ring fordert Traumaambulanzen

Der Weiße Ring Baden-Württemberg begrüßt die Pläne grundsätzlich. „Das kann den Opferschutz voranbringen“, sagt Erwin Hetger, der Landesvorsitzende der Opferschutzorganisation und ehemalige Landespolizeipräsident. Ausreichend sei das aber bei weitem nicht, denn „mit dieser Einrichtung alleine ist nichts bewirkt für die Opfer vor Ort“. Zwei andere Maßnahmen „hätten aus unserer Sicht Priorität, liegen aber seit Jahren brach“. Das ist zum einen ein flächendeckendes Netz von Traumaambulanzen. Das Sozialministerium hat vor vier Jahren in Aalen, Esslingen, Offenburg, Ravensburg, Reutlingen und Schwetzingen Traumaambulanzen als Pilotprojekte eingerichtet. Dort können Menschen in akuten Notlagen nach einer Gewalttat rund um die Uhr Therapie und Hilfe finden. Diese sechs Ambulanzen reichten aber in einem Flächenland bei weitem nicht aus, kritisiert Hetger: „Es dauert oft monatelang, bis wir für traumatisierte Opfer eine Einrichtung finden. Wenn ein Trauma aber erst einmal vernarbt ist, wird die Heilungsarbeit zumindest erschwert wenn nicht unmöglich.“

Zudem fordert er die Einrichtung weiterer Gewaltambulanzen wie in Heidelberg. Dort können Opfer sexueller Gewalt direkt nach der Tat von Gerichtsmedizinern Spuren sichern lassen, ohne vorher zur Polizei zu gehen und Strafantrag stellen zu müssen. Danach könne das Opfer in Ruhe überlegen, ob es den Missbrauch oder die Vergewaltigung anzeigen möchte: die Beweise sind jedenfalls gesichert. „Das nimmt eine enorme Last von den Betroffenen“, sagt Hetger, weil sexuelle Übergriffe vor allem im Familienkreis stattfinden. Über 400 Fälle pro Jahr würden in der Heidelberger Gewaltambulanz registriert. „Das zeigt, es besteht Handlungsbedarf.“

Stiftung Opferschutz bekommt doppelt so viel Geld

Berlin hat seit 2012 einen Opferbeauftragten. Der Bund hatte 2016 nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz erstmals einen Opferbeauftragten für Betroffene von Terrorakten benannt. Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es seit einem Jahr eine Opferschutzbeauftragte. Er wolle Opferschutz zu einem stärkeren Anliegen des Justizministeriums machen, betont Wolf. „Es ist notwendig zu signalisieren: Wir resozialisieren nicht nur, wir schenken auch den Opfern unsere Aufmerksamkeit“, sagt er. Das soll sich auch finanziell zeigen: Das Jahresbudget der Stiftung Opferschutz von 400 000 Euro soll verdoppelt werden.