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Fall Kachelmann und die Folgen: Erwin Hetger fordert Vergewaltigungsopfer zum Handeln auf.

Stuttgart - Am 6. September beginnt der Prozess gegen ARD-Moderator Jörg Kachelmann. Während sich der 52-Jährige derzeit öffentlichkeitswirksam gegen den Vorwurf der Vergewaltigung wehrt, schweigt das Opfer. Erwin Hetger, Landeschef der Opferschutzorganisation Weißer Ring, sieht die Entwicklung mit Sorge.

Herr Hetger, mit welchen Gefühlen beobachten Sie derzeit den Fall Kachelmann und die öffentliche Diskussion um Schuld oder Unschuld des Opfers?

Ich will den Fall Kachelmann nicht verallgemeinern, weil er seine Spezifika hat: Zum einen handelt es sich um einen prominenten Tatverdächtigen, zum anderen ist es eine nie da gewesene öffentliche Berichterstattung. Da hätte ich mir gewünscht, dass sich alle Beteiligten eine größere Zurückhaltung auferlegt hätten. Mich ärgert und überrascht vor allem, dass so viele höchst sensible und auch private Informationen in die Öffentlichkeit transportiert worden sind. Insofern sollte man schon mal darüber nachdenken und künftig in derartigen Fällen versuchen, sensibler zu agieren. Wobei ich den Medien keinen Vorwurf machen will. Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft den kleinen Finger reichen, wollen die Medien natürlich mehr. Das ist doch nachvollziehbar.

Nach diesem Fall werden sich vergewaltigte Frauen seltener trauen, Anzeige zu erstatten.

In jedem Fall ist es für eine Frau verdammt schwierig, eine Vergewaltigung bei den Ermittlungsbehörden anzuzeigen. Diese Art und Weise, wie jetzt über den Fall öffentlich diskutiert wird, birgt die große Gefahr, dass das Vertrauen von künftigen Opfern in eine sachorientierte Aufklärung nicht zugenommen . . .

 . . . sondern abgenommen hat?

Ja, so ist es. Dennoch möchte ich künftigen Opfern diese Angst nehmen. Wir widmen uns beim Weißen Ring gezielt der Opferbetreuung, gerade auch bei Sexualdelikten, die etwa 50 Prozent der Fälle im Land ausmachen. Wir geben den Opfern erste Hilfe, einen Rechtsberatungsscheck für eine Erstberatung bei einem Anwalt und ermöglichen eine psychotraumatologische Beratung. Künftig wollen wir auch dafür sorgen, dass durch eine gerichtsmedizinische Untersuchung die Tatbefunde frühzeitig und damit gerichtsfest festgehalten werden. Danach kann das Opfer für sich entscheiden, ob es Anzeige erstattet.

"Verdammt schwer, Prozess zu führen, der alles ausblendet"

Viele Frauen scheuen sich aber dennoch davor, zur Polizei zu gehen. Welche Gründe gibt es dafür?

Viele Frauen wollen das schreckliche Erlebnis verdrängen, viele Frauen wollen auch nicht mehr mit dem Täter konfrontiert werden. Und viele sehen die Gefahr, dass sie in einem möglichen Prozess auf die Anklagebank gedrückt werden, weil die Gegenseite versucht, die Glaubwürdigkeit des Opfers infrage zu stellen. Letztlich läuft das Opfer deshalb immer Gefahr, zum zweiten Mal in die Opferrolle manövriert zu werden.

Wie könnte man das in der Zukunft verhindern?

Da muss noch einiges geschehen. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Möglichkeit des Opferanwalts schon das Richtige getan. Aber das Fingerspitzengefühl in den Prozessen muss noch mehr zum Tragen kommen. Die Strafprozessordnung eröffnet dem Richter doch viele Möglichkeiten, dem Opfer im Verfahren einen angemessenen Schutz zukommen zu lassen.

Im Fall Kachelmann werden sich nun potenzieller Täter und Opfer ab 6. September im Prozess vor dem Landgericht Mannheim wiedersehen. Ist ein objektives Verfahren nach dieser Vorgeschichte jetzt überhaupt noch möglich?

Ich will da keine Prognose abgeben. Aber es wird verdammt schwer werden, einen Prozess zu führen, der alles ausblendet, was im Vorfeld medienmäßig gelaufen ist. Insofern hoffe ich auf die Vernunft und den guten Willen von allen Verfahrensbeteiligten.

Und was raten Sie jenen Frauen, die künftig womöglich in einer ähnlichen Lage sind?

Es wäre fatal, wenn der Fall Kachelmann zur Folge hätte, dass sich Opfer nicht mehr trauen, offensiv eine Anzeige zu erstatten, sondern solche Fälle unter der Decke bleiben. Man darf nie vergessen, dass es sich bei einer Vergewaltigung nicht um ein Kavaliersdelikt, sondern um ein Verbrechen handelt. Ich kann deshalb nur jedem Opfer raten, nicht einzuknicken, sondern Anzeige zu erstatten. Wer eine Scheu hat, sich sofort an die Polizei zu wenden, kann sich mit dem Weißen Ring in Verbindung setzen.