Bei Gewalt gegen Frauen geht es oft um Macht. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Erschreckend viele Frauen werden in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt. Dabei muss diese nicht zwingend körperlich sein. Beim Treff Sozialarbeit ging es auch um die Hilfsangebote vor Ort.

Stuttgart - Soll sie sich trennen oder soll sie es nicht tun? Nimmt sie dann den Kindern den Vater? Wo soll sie mit ihren Kindern wohnen? Das sind typische Fragen von Frauen, die die Fraueninterventionsstelle von Frauen helfen Frauen aufsuchen, weil sie Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Die Sozialpädagogin Iris Enchelmaier berichtet darüber hinaus von großen Schuldgefühlen, die die Frauen plagten. Oft gäben sie sich selbst die Schuld dafür, dass ihr Mann gewalttätig geworden ist. Wer jahrelang in einer Gewaltbeziehung lebe, habe ein schlechtes Selbstbewusstsein.

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Jede dritte Frau in Deutschland ist laut Bundesfamilienministerium statistisch gesehen einmal im Leben von psychischer, körperlicher oder sexualisierter Gewalt betroffen. Das hat die Evangelische Gesellschaft zum Anlass genommen, sich dem Thema beim „Treff Sozialarbeit“ zu widmen, der dieser Tage als Zoom-Call mit rund 140 (vorwiegend weiblichen) Teilnehmenden stattgefunden hat. In Stuttgart, so die Referentin Enchelmaier, könne man davon ausgehen, dass 6000 bis 10 000 Familien von Gewalt betroffen sind, wenn man die typischen Zahlen auf die Landeshauptstadt herunterbricht. Sie spricht von einer „Atmosphäre der Angst“, in der viele Kinder aufwüchsen, sie würden vielfach Zeugen der Gewalt. Der Erlebte nähmen sie dann in eigene spätere Beziehungen mit. Das Mädchen lerne, dass Gewalt dazugehört, der Junge, dass Konflikte „mit der Faust gelöst“ werden. Entsprechend wichtig seien neben den Hilfsangeboten für Frauen auch die für Kinder.

Digitale Gewalt nimmt zu

Körperliche, psychische und sexualisierte Formen der Gewalt seien zwar am häufigsten, führt die Sozialarbeiterin Karolin Tenbuß vom städtischen Frauenhaus aus, aber nicht die einzigen. Häufig komme es ohnehin zu Mischformen. Fälle, in denen Frauen Opfer digitaler Gewalt werden, nähmen zu. Dazu könne auch Identitätsdiebstahl zählen, dass sich der Täter in den Account hacke und Nachrichten in ihrem Namen schreibe. Tenbuß berichtet auch von „finanzieller und materieller Gewalt“. Wenn zum Beispiel der Mann den Zugriff aufs Konto verwehrt, übt er Macht über die Frau aus.

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Wohin es führen kann, wenn ein gewalttätiger Mann spürt, dass er die Kontrolle über „seine“ Frau verloren hat, veranschaulicht die Journalistin Julia Cruschwitz eindrücklich anhand eines Fallbeispiels aus ihrem Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“. Eine 29-Jährige Dresdenerin mit Fluchthintergrund wäre beinahe von ihrem französischen Ex-Partner mit einem Stein erschlagen worden. Sie hatte ihn mehrfach bei der Polizei angezeigt, doch passiert sei nie etwas. Bevor er auf die 29-Jährige losging, hatte er die Kinder auf erschreckende Weise getötet – mithilfe von Bauschaum. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen.

12 000 fehlende Frauenhausplätze

Allein 2020 habe es 139 Femizide in Deutschland gegeben, führt Cruschwitz aus. Hinzu kämen 200 versuchte Tötungsversuche mit Frauen als Opfer. „Das sind keine bedauerlichen Einzelfälle“, so Cruschwitz, die in ihrem Schlussstatement ein Plädoyer für mehr Frauenhausplätze und eine „Durchfinanzierung“ dieser Plätze hält. „Es geht hier um Leben und Tod“, prangert sie 12 000 fehlende Frauenhausplätze an.

Hier finden Frauen Hilfe

Beratungsstellen
Wo finden betroffene Frauen in Stuttgart Hilfe? Anlaufstellen sind zum Beispiel die Beratungsstelle Frauenfanal des städtischen Frauenhauses (Telefon 07 11/4 80 02 12) sowie die Angebote des Vereins Frauen helfen Frauen: die Beratungsstelle BIF (0711/ 6 49 45 50) und die Fraueninterventionsstelle (Telefon 07 11/6 74 48 26).

Migrantinnen
junge Migrantinnen, die Konflikte in ihrem Umfeld haben, von Gewalt im Namen der Ehre betroffen sind oder denen Zwangsheirat droht, können sie sich an die Beratungsstelle Yasemin wenden, die auch an geschützte Orte kommt für die Beratung, wie Schule oder Ausbildungsplatz: Telefon 07 11/65 86 95 26. Sichere Zuflucht können sie zum Beispiel in den Wohnprojekten Rosa und Nadia finden.