Muss dringend saniert werden: Opernhaus in Stuttgart Foto: Oper Stuttgart

Als Spiegel zahlreicher unbeantworteter Fragen in der Landeshauptstadt sieht „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer die Wirren um die Sanierung und Erweiterung des Opernhauses in Stuttgart.

Stuttgart - In Stuttgart tagt an diesem Freitag der Verwaltungsrat des Staatstheaters Stuttgart. Auf der Tagesordnung: Der nächste Schritt zur Sanierung und Erweiterung des weltweit drittgrößten Dreispartenhauses (Oper, Ballett, Schauspiel). Doch der Schritt ist schon jetzt ein Fehltritt – Stadt und Land, gemeinsam Träger des Staatstheaters, liefern sich in unterschiedlicher Rollenbesetzung vor laufender Kamera seit Tagen herzhafte Gefechte.

Staatstheater-Areal bietet die Chance zur städtebaulichen Neuordnung

Schnell gerät da durcheinander, was doch untrennbar zusammengehört – die dringend notwendige Generalsanierung des Opernhauses und die Erweiterung des Staatstheater-Areals in der Stadtmitte um 12 000 Quadratmeter. Mehr noch: Die Investition in die nächsten 50 Jahre des Staatstheaters Stuttgart und in die städtebauliche Neuordnung an einem für das Wiederherstellen der Nord-Süd-Achsen im Zentrum der Landeshauptstadt entscheidenden Scharnier.

Benötigt wird ein voll funktionsfähiges Theater für fünf bis sechs Jahre

Voraussetzung für jeden baulichen Handgriff im Opernhaus ist eine Ausweichspielstätte für Oper und Ballett. Ein voll funktionsfähiges Theater mit Unter- und Obermaschinerie für die Bühne, 1400 Sitzplätzen, entsprechenden Dienstleistungsangeboten für das Publikum – von der Gastronomie bis zu selbstverständlichen Vermittlungsangeboten. Ein Interim zudem, das 1000 der 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staatstheaters Platz bietet – ein Ort, der die Zukunft sichert, indem er es in einer Gegenwart von bis zu sechs Jahren der Oper Stuttgart und dem Stuttgarter Ballett ermöglicht, international an der Spitze zu bleiben.

Heilloses Durcheinander

In der Ausweichspielstätte die Konkurrenz auf Distanz zu halten – das ist das Ziel, muss das Ziel sein. Aber ist es auch das Ziel von Stadt und Land als Träger des Staatstheaters? Zweifel sind angebracht, nachdem schon die erste belastbare Kostenberechnung für ein heilloses Durcheinander sorgt. Mehr als 100 Millionen Euro für ein Interim? Mit mir nicht, ruft Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn – und kann sich einigen Rückhalts sicher sein. Eilfertig wird ohne Rücksicht auf Parteibücher eine Widerstandsfahne gehisst. Nachhaltigkeit ist darauf zu lesen. Gerade so, als gebe es eine mögliche längerfristige Nutzung eines Veranstaltungsforums dieser Größe umsonst, als müsse man sie nicht mit 15 Millionen Euro im Jahr veranschlagen.

Stuttgart verspielt die Idee und die Identität der Metropole

Mehr und mehr wird die Sanierung und Erweiterung des Staatstheaters Stuttgart, von Ministerpräsident Winfried Kretschmann jüngst noch zur „Jahrhundertaufgabe“ erklärt, zu einem Spiegel der Stadt der Zauderer. Ratlos starrt man auf die Schadstoffmessstelle am Neckartor statt mutig Fahrspuren zu verengen, ratlos blickt man auf die Stadtautobahn Konrad-Adenauer-Straße, statt mit einem mindestens 15 Meter breiten Übergang zwischen Staatsgalerie und Opernhaus die Straße fußläufig queren zu lassen. Ratlos registriert man eine erneut zunehmende Zersiedelung , statt den Achsen zwischen den Quartieren wie den Unorten zwischen der Landeshauptstadt und den sie umgebenden Städten und Gemeinden erkennbar gewollt Gestalt zu geben. 2,8 Millionen Menschen leben in der engeren Metropolregion Stuttgart – doch Stuttgart selbst verspielt die Idee und die Identität der Metropole.

Irgendwann finden wir auch die Stadtautobahn heimelig

Man kann der Meinung sein, alles sollte so bleiben, wie es sich in der autogerechten Stückwerk-Kopplung ergeben hat. Dann erübrigt sich auch das Nachdenken über die Staatstheater-Zukunft. Starren wir nur lang genug ratlos auf die museumsreife Infrastruktur im Opernhaus, finden wir bald auch die Stadtautobahn irgendwie heimelig.